Vorbemerkung

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Mit Così fan tutte ist auch die Geschichte seiner Rezeption auf uns gekommen, und das eine ist nicht ohne das andere zu haben. Auch die schlichteste Einführung wird sich mit den oft leidenschaftlich bestrittenen Ansichten zu scheinbar einfachen Sachverhalten im Stück beschäftigen oder andernfalls sich für eben eine davon entscheiden müssen. Eine Inhaltsangabe ist schwierig und das will etwas bedeuten. Viele Interpreten fühlen sich berufen, Tatsachen zu setzen, wo das Stück ohne diese auskommt. Der Mangel an Plausibilisierungen trifft seit seiner Uraufführung auf ein Publikum, das es, um mit einem historischen Zeitraffer zu reden, aus dem Theater ins Kino drängt (- das zielt weniger auf einen schlichten Realismus als auf eine Situation im Theater, wo die Bühne durch die vierte Wand verstellt ist). Und er trifft auf eine Wissenschaft, der es nicht viel anders ergeht. Das letzte größere Buch zum Thema, Contanze Natosevics, ist der wohl angestrengteste Versuch, die Leerstellen, statt in ihrer Funktion zu würdigen, plausibel aufzufüllen. Ihr Text nimmt bei dem Versuch, eine renitente Gleichgültigkeit des Stücks gegen derlei Simulationen zu überwinden, gelegentlich etwas Hysterisches an. Genau derselbe Eindruck liegt auch dem unwillkürlichen Unbehagen an manchen Inszenierungen zu Grunde. Die dramaturgischen Einfälle, die das Stück näher definieren sollen, stehen ihm nicht selten im Weg - und merkwürdig: man merkt´s! Irgendwas ist schief, ohne daß wir gleich wüssten, was. Etwas an Così wehrt sich mit immenser Kraft - und was das eigentlich ist, war die auslösende Frage zu diesem Text.
Daß das Marketing jeder neuen Così Inszenierung nicht ohne das Versprechen auskommt, die falsche Tradition endlich hinter sich zu lassen und das wahre Stück freizulegen, ist nur der Reflex eines wirklichen Rätsels. Vor Così scheint der Druck der 2 Jahrhunderte währenden Verballhornung in einer Weise fühlbar, die eine Lösung des Rätsels in allernächster Zukunft suggeriert. Wie vor einem schwierigen aber theoretisch möglichen Beweis scheint es wirklich eine Lösung zu geben, die nur erst gefunden werden muss. Dabei ist das Rätsel des Stücks oft mit seiner Moral verwechselt worden - finde die Moral und du löst das Rätsel. Das genau funktioniert nicht und Così setzt beinahe alles daran, so nicht zu funktionieren.
Eine andere Perspektive (eine die das Theater in den Vordergrund rückt) war im Text selbst zu finden, ihm eingeschrieben und ob unsittlicher Implikationen willen von Anfang an verdrängt. Così verstehen heißt, diese Verdrängung, das Konstruktive der Mißverständnisse und Verballhornungen zu verstehen, und zwar gerade heute, wo in den teils heftigen Diskussionen sich doch ein neuer, moderner Konsens über seine grundlegenderen Bedeutungen hergestellt zu haben scheint, ohne daß die Konstante des historischen Mißverständnisses eliminiert wäre.
Così verstehen hieß aber zuerst: das Stück gründlich lesen, mit Interesse am Text, da Pontes sowohl als Mozarts - und staunen, wie eigentümlich stur gewisse Vorurteile sich durch keine Lektüre haben beirren lassen. Gewisse viel diskutierte Fragen lassen sich nämlich sehr wohl endgültig klären, der Spaß fängt danach erst an, niemand muss fürchten, das Stück verlöre jedes Interesse, bloß weil Diskussionen, ob die Eumenidenarie nun "ironisch" sei oder nicht, ob die Felsenarie ein "ernstes Bekenntnis" oder ein Witz oder beides, sich überzeugend abschließen lassen. Darum auch kann schon eine kleine Änderung des Ansatzes im Verein mit gründlicher Lektüre Wunder wirken, - eine minimale Drehung des Kopfes (D. Adams), mit der die Totale sich verschiebt und ein sehr naheliegender, verlorener Raum neu betreten wird.
Amici, entrate.





AKT I



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[Der Text des Librettos ist im Kommentar nur gelegentlich (meist vor Hilfsübersetzungen) zitiert. Mit einem Klick auf die Überschriften von Text oder Kommentar springt das Gegenüber an die entsprechende Stelle. ]





I/1


Jede der ersten 3 Strophen des Terzetts stellt einen der Herren vor. Auf den ersten Blick sagen Ferrando und Guglielmo nahezu das Gleiche, umso bezeichnender die Unterschiede.


Ferr.: La mia Dorabella
Capace non é;
fedel quanto bella
Il cielo la fe'.

Ferr.: Meine Dorabella
ist dazu nicht fähig;
treu wie schön
hat der Himmel sie gemacht.


Ferrando behauptet, blindlings. "Cielo", ungreifbare Instanz, tabu, eine fröhlich-regressive Verweigerung jeder Argumentation. Ferrandos "capace" (wessen fähig?) hängt noch etwas in der Luft: eine Strophe weiter erfahren wir ("tradirmi" : mich zu betrügen), worum es geht.


Gugl.: La mia Fiordiligi
Tradirmi non sa;
Uguale in lei credo
Costanza e beltà.


Gugl.: Meine Fiordiligi
kann mich nicht betrügen;
gleichmäßig in ihr glaube ich
Treue wie Schönheit


Guglielmo ergänzt mit "credo", was Ferrando fehlt. Dasselbe Begriffsdoppel, Schönheit und Treue, aber nicht vom Himmel, sondern subjektiv durch Guglielmos Beglaubigung garantiert. Das ist ein Ball, den Alfonso pariert.


Ho´i crini già grigi
Ex cathedra parlo;
Ma tali litigi
Finiscano qua.

Ich habe schon graue Haare,
ich spreche ex cathedra;
Aber diese Streitereien
beenden wir jetzt.

Er beschwert das subjektive Credo Guglielmos mit dem Gewicht von Alter und Erfahrung; zur Lehre versteift, abstrakt, spiegelbildlich zum Himmel Ferrandos, aber gültig erwiesen durch graue Haare.
Den Anfang macht also - interferent zum Gegensatz Offiziere / Alfonso - ein Dreischritt: aus dem kanonischen Himmel über die subjektive Beglaubigung zur Statistik; von der Idiotie über die Borniertheit zur Doktrin.
Das kommt uns auch aus dem Reimschema der 12 Zeilen entgegen. Das blanke Behaupten Ferrandos und sein leerer Reim (Dorabella/bella) unterstützen schon eine später offensichtliche Dümmlichkeit. Guglielmos souveräne Garantie kippt, weil er am Reim auf Fiordi-ligi scheitert und just sein "credo" in der Luft hängt. Erst Alfonso bedient souverän: "grigi - litigi". Der weichere Rhythmus härtet sich, sobald Alfonso redet, zu einem schulmäßig durchgehauenen Schlag, sein tronco-Schluss "qua" haut mit dem Lineal auf den Tisch.

Mit ihren ersten Strophen erwidern die Offiziere Behauptungen Don Alfonsos, die wir interpolieren müssen, jedes Publikum muß das. Wir können uns nicht darauf zurückziehen, er habe keinen Text. Das Minimum des Vorauszusetzenden ist "così fan tutte" - es genügt, wenn wir, wie das Publikum, den Titel behalten haben.
Don Alfonsos Behauptung ist offensichtlich ehrenrührig, wo man auf Ehre hält. Wären die Offiziere rethorisch geschickter, ihr Codex geböte dieselbe Reaktion; Alfonso hat ihre Damen und sie selbst schwer und wissentlich beleidigt. Die erste Scene wird vorführen, wie er die Herren Offiziere zur Wette provoziert. Sie ist unzweifelhaft sein Werk.
Das sehen viele Interpreten dieser Rolle anders.

"Der aufklärerische Philosoph Don Alfonso wird erst dann zum Spielleiter und damit zum Pädagogen der jungen Paare, nachdem die Offiziere...eine Probe [der Treue ihrer Damen] heraufbeschwören. Umsonst sucht er zu beschwichtigen...Erst ihre militärische Provokation zwingt ihn zur Wette..." (Puntscher-Riekmann)
"Wider Willen hat er [Alfonso] sich auf das Experiment eingelassen. Er dirigiert, er lenkt das Spiel, das er selbst für unnütz, ja für schädlich hält", er, "der vergeblich versucht hatte, den ausgebrochenen Streit um die Treue der beiden Mädchen beizulegen..." (Kunze)

Begründet wird diese Lesart mit Alfonsos

Ma tali litigi
finiscano qua.
[Aber solche Streitereien
beenden wir jetzt.]

und

Tai prove lasciamo ...
[Lassen wir solche Beweise ...]

beides aufreizende Äußerungen, wenn man eine vorangegangene Beleidigung nicht unterschlägt; erst beleidigen, dann rechthaben und den Faden abschneiden, das ist reine Provokation und schon die Karikatur eines Verhaltens, mit dem alte Leute zu allen Zeiten die jungen hochnehmen. Sein (a parte)

O pazzo desire,
Cercar di scoprire
Quel mal che, trovato,
Meschini ci fa.

[Oh verrücktes Verlangen,
das Übel enthüllen zu wollen,
das, gefunden,
klägliche Narren aus uns macht.]

kann als Warnung an die Offiziere schon deshalb nicht gelten, weil es eben "zur Seite" gesagt ist. Immerhin meint er, was er hier sagt, das a parte aber offenbart den Eigennutz seiner Lektion, er genießt schon den ersten Erfolg. Wir verpassen etwas, wenn wir nicht auch den Genuß heraushören. Er besteht in der das Alter stets befriedigenden Aussicht, die Jugend mit den eigenen Wunden geschlagen zu sehen und kostet vage die Freuden der Teilhabe schon aus. Auch - und das ist vielleicht am wichtigsten - geht sein a parte nicht ins Leere sondern ins Publikum, wie die Versicherung des zukünftigen Intrigen-Impressarios, daß es noch lustig wird. Allein "pazzo" ist ein Versprechen, das uns das Herz höher schlagen läßt. (Wir sind im Theater und eigens hier, um die Komödie "Cosi fan tutte" zu sehen.) Kunze hat die unglückliche Idee, den alten Vorwurf der Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit gegen da Ponte mit gerade dieser Passage zu entkräften, weil sie beweise, daß er sich "über die Gefährlichkeit dieses Spiels, darüber, daß hier mit Entsetzen Scherz getrieben werden sollte, durchaus im klaren" sei. [ Kunze S.44] Wer vor "Entsetzen" noch nicht recht schlottert, zieht vielleicht die alte "Leichtfertigkeit" da Pontes vor.

Das erste Zusammensingen der drei Stimmen (in Nr1) ist in zwei a parte geteilt, den Schluss der Scene macht (Nr3) ein gemeinsamer Toast. Der Schein trügt: die Einhelligkeit am Schluss ist sabotiert, dafür aber liegen die a parte - Strophen dichter beisammen als die ausdrückliche Unterbrechung der Kommunikation denken läßt. Wir werden sehen, daß da Ponte verschiedenen Personen denselben Text geben kann, um ihren Abstand zu befördern, und umgekehrt ein a parte auch anlegt, um auf eine Nähe zu weisen.

Die Herren machen nicht etwa ihrem Zorn Luft. Sie lassen Verletzlichkeit sehen, a parte. Die Grenze zwischen Rollen-Wissen und der vollen Wahrheit des Textes ist unscharf, schon weil beide, Ferrando und Guglielmo, ihn singen. Was beim einen leere Floskel wäre, kann der andere ausdrücklich meinen. Die Wendung "chi lascia di bocca sortire un accento" z.B. impliziert mehr oder weniger bewußt, daß der Affront nicht in der Sache, sondern ihrer Äußerung liegt: Guglielmo könnte, wie sich zeigen wird, Alfonsos Meinung durchaus teilen, solange der sie für sich behielte.
Ängstliche Unruhe der Herren vorm geringsten Laut der Unziemlichkeit: das ist, was die Komödie sie wie ein Versprechen preisgeben läßt, ohne sie aus der Rolle zu drängen; sie selbst dürfen glauben, nichts als den Edelmut streitbarer Galants zu beteuern. Alfonso hat leichtes Spiel.
Die Angst der Herren Offiziere ist - im a parte - mit dem zweischneidigen Wissen Alfonsos verknüpft. Es ist beide Male die Angst vor der nicht beherrschten Frau: akut bei den Offizieren, ausgestanden in der Vergegenwärtigung eines alten meschino.

Guglielmo fordert zur Wahl; zwei gegen einen wäre gegen die Regeln. Er bleibt ruhig und formal wie die Ehre, in der er gekränkt ist. Er weiß die angemessene Antwort und spult sie ab. Anders Ferrando:


O battervi,
O dir subito
Perché d'infedeltà
le nostre amanti
Sospettate capaci.

[Oh schlagt Euch,
Oh / Oder sagt sofort
Warum ihr unsere Geliebten
der Untreue fähig erachtet.]


Er fordert heftiger, Duell, eine Erklärung! er versteht nicht, das macht ihm Druck. "Cara semplicità" haut Alfonso treffsicher und provozierend in die Kerbe. Ohne Ferrando wäre er aufgeschmissen. Hier muß er ansetzen, die aus der Ruhe gedrängte Einfalt kommt seiner Lust entgegen, die gefällt ihm, Guglielmos Frage, wen er vorziehe, noch im Ohr.
Alles was Ferrando sagt, geht in der (auf ein komisches Theater berechneten) Geste seiner "O"-Rufe auf, da Ponte spielt mit einer (nur hier, bei Ferando überhaupt möglichen) Indifferenz der Bedeutungen . Daß, wo einer "oder" sagt, ebensogut bloß "oh" gemeint sein kann, weicht unweigerlich seine Rede auf und schiebt die Mimik, ein leeres, dümmlich empörtes O des Mundes komisch nach vorn.
Was immer sich an Weisheiten Alfonsos zusammentragen lässt, eine Philosophie kommt nicht dabei heraus. Frauen sind untreu, der Himmel keine relevante Instanz: das ist alles. Eine Philosophie störte die Reinheit der Figur, wir vermissen sie so wenig wie etwa Angaben zur persönlichen Geschichte Alfonsos. Der "Philosoph" ist eine Attitude: Lust zur Provokation, Voyeurismus des Alters. Von heute aus, angesichts einer langen Rezeptionsgeschichte, ist die Abwesenheit von Alfonsos Philosophie bemerkenswerter als jede Interpolation. Die einzig zulässige ist unversucht und beständig in Gefahr, ihren Gegenstand mit Mann und Maus zu verschlucken: eine Philosophie des Lachens. "Alfonso" führt sie vor, aber kennt er sich darin aus?

Alf.: Quanto mi piace mai, semplicita! [ Einfalt!, wie du mir gefällst!]

Das den Offizieren zweimal ins Gesicht! Und als Antwort auf ihre Entrüstung über seine ehrenrührigen Behauptungen! Selbst wer diese Beleidigung gleichsam a parte sich vorstellt (weil ihm das unverhohlen Provozierende nicht ins Bild passt), nur für die Ohren des Publikums, wird sich fragen müssen, was eigentlich Alfonso solchen Spaß macht. Er gönnt sich etwas auf Kredit einer Freundschaft, der er weder jetzt noch später viel Gewicht beimißt. Daß er kaum zu weit gehen kann, lehrt



I/1 - Nr2

Alfonsos zieht die Herren Offiziere mit einem Metastasio-Verschen auf, sein locker provozierender Ton kommmt zu sich selbst, musikalischer kann ein Librettist nicht denken. Das Hänseln: Alfonsos Gestus allein ist musikalisch schon vor der Komposition, dramatisch perfekt wird die Vorlage durch die so feurigen wie kläglichen Einwürfe der Herren. Kläglich in vielerlei Hinsicht: jede bloße Behauptung einer Differenz hat gegen stumpfe Binsenweisheiten einen schweren Stand, zwei Ausnahmen fressen sich gegenseitig. Mozarts (Text-)Version treibt den Verlust der Namen auf die Spitze, er nimmt das fuoco des Beginns zurück, die eingeworfenen Namen werden Häppchen für Häppchen verschluckt von Alfonsos Verslein, bis es sie ganz sich einverleibt hat, "nessun lo sa." Dabei bleibt es, die Namen werden ersetzt durch mia dea, Venus, idol mio, adorata mia sposa, mio ben, mia vita, o cara: beim Namen nennt die Damen erst Despina wieder, und zwar nach Dorabellas Eumenidenarie: zurück auf den Teppich, und wenn man will: Phoenix aus der Asche. Um die besonderen Eigenschaften des Phoenix ist es dem Vers Alfonsos gar nicht zu tun. Allein die Unwahrscheinlichkeit interessiert, beinahe jedes andere Fabeltier könnte dazu herhalten. Indem nur das Fabelhaft-Unmögliche hervorgekehrt wird, setzt da Ponte das Besondere für andere Zwecke frei: hier wird die Niederlage der Herren vollständig. Sie haben recht und wissen es nicht: Dorabella und Fiordiligi, beide Phoenix, unverwüstlich treu sich selbst.
Die Treue überhaupt, auch die der Herren, vergleicht das originale Metastasio-Verschen mit dem Phoenix, und keiner wisse, wo er sei. Wenn vom "Philosophen" die Rede sein soll, dann ließe sich mit der freischwebenden Bedeutung des Phoenix wie vor der Abwandlung des Zitats spekulieren, ob Alfonso sie eher platt den Erfordernissen anpasst oder ihre Hintergründigkeit durchschaut. Aber solche Spekulation muß sich hüten, allzu prompt einer ahnungsvollen oder berechnenden Weitsicht Alfonsos gutzuschreiben, was bequem auch mit weniger Geist zustandekommt. Immerhin bedeutete die smarte Variante, daß Alfonso mögliche Komplikationen (2. Akt, die Untreue wenigstens Ferrandos, seine Verliebtheit in die Falsche) vorhersähe und verschwiege. D.h. nicht gänzlich verschwiege: Ferrando ("Scioccherie di poeti!") erkennt ja das Zitat (und sei es bloß als solches), nur eben seine Entstellung nicht, was ihm seinen Platz weist, unabhängig davon, als wie klug sich Alfonso noch erweist.
Sicher ist: Alfonso will die Wette. Er provoziert pausenlos, die Herren parieren keines seiner simplen Manöver. Jetzt dreht er die Beweislast um:



Or bene, udite,
Ma senza andar in collera:
Qual prova avete voi,
che ognor costanti
Vi sien le vostre amanti;

[Nun gut, hört,
Aber ohne in Wut zu geraten:
Welchen Beweis habt ihr,
daß eure Geliebten
euch immer treu sind;]


Die Herren fallen prompt darauf herein. Ihre "Beweise" werden nicht dadurch besser, daß sie, vorerst ohne in Wut zu geraten, sich selber reden hören.
"Lunga esperienza": wenn er mit dem Himmel nicht landen kann, fällt Ferrando der unwahrscheinlichste Grund zuerst ein: lange Erfahrung. Guglielmo beherrscht den Code besser: "Nobil education", die vornehme Erziehung der Mädchen ist wenigstens Tatsache, wenn auch kein Argument für Treue. "Pensar sublime": Ferrando ist nicht so fürs Grobe, und Untreue wäre eine solche Grobheit. "Feinsinnigkeit" aber legt im ganzen Stück außer ihm selbst nur - Fiordiligi an den Tag. Mit "Analogia d'umor", Wesensverwandtschaft, haut Guglielmo viel wackerer daneben, derselbe Unsinn, aber argumentationsgerecht. Ferrando treibt weiter ab in die sublime Richtung: "Disinteresse" - günstigstenfalls: Selbstlosigkeit - als Grund zur Treue: weiter kann er eigentlich nicht vom Kurs abkommen, spätestens hier muss Alfonso mit den Tränen kämpfen. Guglielmo reißt es mit "Immutabil carattere", fester Charakter, nicht mehr heraus, "Promesse", "Proteste", "Giuramenti" lassen das Schiffchen steuerlos im Strudel der von Alfonso vollendeten Klimax untergehen.
Es ist nicht die reine Gaudi, die mich diesen Abschnitt paraphrasieren läßt. Er ist, unmittelbar vor der Wette, die buchstäblich entscheidende Stelle der ersten Scene. Beschleunigung und Überschlag, eine Lachklimax in Buffamanier. Komische Katastrophe der Konversation, einseitig. Das braucht es zur Wette, Alfonsos rethorischer Kniff geht auf, die Lösung fällt ihm zu wie von selbst. Heiß wird die Stelle aber nicht durch die Manier. Die leiht ihren Charme einer unvermutet substantiellen Verhandlung des strittigen Gegenstandes. Denn dem accellerando der Rede entspricht eine das Wesen der Treue im Innersten verletzende Beschleunigung auf der Sinn-Ebene. Von der "langen Erfahrung" über dauernde Eigenschaften zu "Versprechen" und "Zärtlichkeiten"; immer kürzere Werte, die mit immer heftigerer Emphase ewige Treue an den süßen Augenblick verraten. Und sich konsequent überschlagen: "Ohnmachten": noch der Augenblick ist komisch getilgt, das Gelächter ist reif.
Schulbeispiel der komischen Negation, als solches in Scene gesetzt, denn es provoziert nicht einfach unser Publikums-Lachen, sondern führt das Lachen Alfonsos vor. Und zwar dies eine und einzige Mal, mit axiomatischer Schärfe. Eine Demonstration, die das ganze Stück wiederholen und entfalten wird, von Treueschwüren zu Ohnmachten und Gelächter, auch wenn es gerade Alfonsos Lachen von nun an untergräbt: er hat schon gelacht und wird wieder lachen, das Stück aber ist aus. Versteckt hinter der Manier fällt die Rafinesse kaum auf.
Geschickt minimiert liegt die kleine Drehung von den dauerhaften zu den immer augenblicklicheren Werten zwischen Guglielmos Argument vom "festen Charakter" und den "Versprechen" Ferrandos. Damit die Demonstration gelänge, war es unbedingt nötig, nicht Alfonso das Schiffchen der Beweise ins flachere Wasser steuern zu lassen; die Herren schlagen die Richtung ein, der Rest ist Logik. Das gerade macht sie rasend, und nichts träfe nach den "Ohnmachten" und Alfonsos Gelächter ihren Zustand besser als Ferrandos Ausbruch: "Cospetto!", ein wunderbarer Ausdruck, mit dem das Italienische wütend nach "Gegenwart" und "Angesicht" ruft. Außer sich, blind und ausgelacht: der Wettvorschlag kommt wie eine Erlösung, mindestens für Ferrando. Er schlägt sofort ein. Guglielmo mimt auch jetzt noch Beherrschung und läßt auf Alfonsos Wettsumme ein zehnfach erhöhtes Gegengebot vom Stapel, der Form halber. Wem unklar sein sollte, wie hoch eigentlich gewettet wird, - Alfonso quittiert das Gebot mit "parola!", was offen läßt, ob er es überhört oder akzeptiert - den klärt Guglielmo selber wenig später auf: "E de' cento zecchini che faremo?" Ferrando fiele das nicht ein.




I/1 - Nr.3

Ferr.: Una bella serenata
Far io voglio alla mia dea.
Gugl.: In onor di Citerea
Un convito io voglio far.

Ferr.: Eine schöne Serenade
will ich meiner Göttin bringen.
Gugl.: Zu Ehren der Venus ("Cytherischen")
will ich ein Festmahl halten.



Wieder Boden unter den Füssen, Soldatenehre, Herrenspaß; die Begeisterung ist groß und blind: Die Serenade wird Ferrando der Falschen singen, und auch "Cythera" ist ein prophetischer Mißgriff.
Wie hoch wohl belaufen sich Alfonsos Auslagen?: Despina, Verkleidung, Soldatenchor, Barkenarrangement, Gartenfest, Hochzeitsfinale; macht genau cento zecchini. Aber mitten im schönsten Sieg verrät Alfonsos Spitze auch ihn selbst.

Sarò anch'io de' convitati? /
Werde ich auch unter den Eingeladenen sein?

Was mit lässiger Untertreibung seine Gewißheit, wer hier ein Fest veranstaltet (und wer es bezahlt), ausdrücken soll, kann doch sein die Pädagogik arg diskreditierendes Motiv, eine solche Wette anzuzetteln, nicht verbergen: die Lust des vecchio filosofo, teilzuhaben am Liebesfest der Jugend. Und eben dies Gift einer unumkehrbaren Niederlage, der des Alters, wirkt im die Scene beschließenden Toast.

E che brindis replicati
Far vogliamo al dio d'amor. /
Und welche wiederholten Toasts
wollen wir ausbringen auf den Gott der Liebe.

Wie im Rezitativ vorher die Lachklimax durch doppelte Beschleunigung den Treuebeweis der Herren kippt, bannt der Schlusstoast die Erwartung der Herren - alle Verben des Terzetts wünschen - in eine Schleife, die das Glück - gleich welches: den Herrenspaß, den Wettgewinn, ungeahnte Liebesbrände - durch Wiederholung sabbotiert. Auch ohne szenische Anweisung/Nebentext ist das finale Heben der Gläser offensichtlich. Streit und Szene zu beschließen, lassen die Herren in der neapolitanischen Bar einen Toast vom Stapel, der nichts beschwört als zukünftige Toasts. Gewiss, sie sehen einem Fest entgegen, aber einem (Guglielmo:) in onor di Citerea. Ausführlich werde ich bei der Einschiffung der Offiziere behandeln, was alles "Citerea" transportiert, ein Fest zur Feier von Treue und Sittsamkeit jedenfalls nicht. Ihr Wunsch holt sie im Hochzeitskanon des Finales ein ( - und es wird Guglielmo sein, der aussteigt). Was das Fest hier im Terzett bedeutet, bringt der Toast auf den Punkt. Das Kunststück war, den zwei Parteien einen Toast zu finden, der sie, bei aller Männerkumpanei, auseinanderhält. Statt Alfonso bloß mitmachen zu lassen, lässt da Ponte die Herren Offiziere aus den mit Serenata und Citerea transportierten Ahnungslosigkeiten in die Figur der Wiederholung tappen, und beschert Alfonso das Gran Salz, das er braucht, um einzustimmen ohne Lüge.
Was das Stück entfalten wird, ist hier auf minimalem Raum eingerollt, der definitive Ausgangspunkt. Der Einfall, das Gift durch die zweideutige Idee der Wiederholung zu verabreichen, ist bestechend. Er konzentriert die zu entwickelnde Untreue (die Damen) in einer gleichgültigen Floskel (die Herren), ermöglicht die Differenz der Herren bei gleichem Text, ohne Abspaltung etwa Alfonsos als säuerlichem Besserwisser, und berechnet die Möglichkeiten des Komponisten. Achten Sie auf das Schlagen der Gläser, das Mozart zweimal hinschreibt, auf den wiederholten Lichttriller, ein Klingeln wie die Erscheinung der Gottheit selbst, das Mozart nicht dieser zuweist, sondern bewunderungswürdig genau dem Stichwort der Idee: "replicati".

Zum Abspielen dieses Klangschnipsels (nicht wichtig) brauchen Sie den Macromedia Flash player.






I/2



Duett (Nr.4)


Szenenwechsel, von der Kaffeebar zum Garten am Meer. Fundus-Dekorationen, nicht eigens für Così anzufertigen, der Librettist hatte mit ihnen zu rechnen, und sie genügten vollauf. Ein einfacher Prospekt mit Strand und Meer: der Raum wird weiblich.

Giardino sulla spiaggia del mare. [Garten am Meeresstrand]

Renate Schlesier hat gezeigt, mit welchem Gewinn wir uns daran erinnern, wie präsent dem Theater des Jahrhunderts der mythische Garten der Antike ist. Vorzeit und Mythos, Meer und Garten; die reine ungeteilte Naturgewalt, den Ursprung im offenen Hintergrund; das Nymphenland, den Lustort der Liebesschrecken davor. Mit dem Strand als beider Grenze: Der wird erst drei Szenen weiter schiffbar, wie der vergleichsweise wilde "giardino" in Szene 14 dem "giardinetto gentile" weicht; Differenzierungen, die der Text, erhältlich an der Pförtnerloge, der Dekoration während der Vorstellung einschreiben konnte.
Die Enge der nichtöffentlichen, auf Haus und Garten beschränkten Frauenexistenz mag eine Inszenierung, der Tiefe des Horizonts entgegen, in den Vordergrund ziehen. Das Anschlagen aber des Fernsten im neapolitanischen Vorstadtgarten darf sie nicht streichen, selbst wenn sie darin nichts als die reale Enge, wiederholt auf der Ebene mythologischer Zwangsvorstellungen begreift; es verleiht den Frauen eine Resonanztiefe, mit der verglichen die Geburt der Herren aus dem öffentlichen Kaffeehaus so souverän wie anmaßend wirkt.

Das Duett hat der Buffa ein Versprechen einzulösen. Zweideutigkeiten machen die Sittsamkeit verdächtig. Auftritt Fiordiligi und Dorabella, die sich für treu halten - warum immer sie das gerade erwähnen - und denen eine unbekannte Zukunft das Wort im Munde herumdreht. Soweit die Folie der buffa, die nirgends im Stück reißt.


Fio.: Ah, guarda, sorella,
se bocca più bella,
se aspetto più nobile
si può ritrovar.

Fio.: Ah, schau Schwester,
ob einen schöneren Mund,
eine noblere Erscheinung
sich noch einmal wiederfindet.
.

Fiordiligi fängt an. Die Schwester soll in die Freude am Bild des Verlobten einstimmen. Dorabella wird solche Vorzüge zu schätzen wissen. Umso bemerkenswerter, daß da Ponte jede wohlwollende Replik Dorabellas vermeidet - leicht wäre da ein komischer Vorgriff zu haben - und sie stattdessen Aufmerksamkeit für ihr eigenes Bildchen fordern und Züge ihres Verlobten malen läßt.


Dora.: Osserva tu un poco,
Che foco ha ne´sguardi,
Se fiamma, se dardi
Non sembran scoccar.

Dora.: Sie du nur mal her,
welches Feuer er in seinen Blicken hat,
Ob nicht Flammen, ob nicht Pfeile
daraus hervorzuschießen scheinen.



Sie zeigen sich ihre Schätze vor, ohne Gedanken, die andere damit spielen zu lassen.
Der grelle Effekt ist vermieden zugunsten eines reizvolleren Zwielichts. Das besorgt eine doppelte Mißverständlichkeit. Die Bildbetrachtung wird wiederholt, aber jetzt ist die Blickrichtung unklar, die beiden Zweizeiler vor dem Verschmelzen lassen in der Schwebe, auf welches der Bilder jede sich bezieht. Antwortet Fiordiligi der Schwester, oder bleibt sie, ungeachtet des doppelten "Osserva", träumerisch beim eigenen? Und Dorabella, die fast das gleiche sagt, ohne, soviel scheint sicher, das gleiche Bild zu meinen, löst den Zweifel nicht auf. Das Nebeneinander der Blicke gerät eng und das Überkreuz wird möglich.


Fio.: Si vede un sembiante
Guerriero ed amante.
Dora.: Sie vede una faccia
Che alletta e minaccia.

Fio.: Man sieht ein Antlitz
kriegerisch und zärtlich.
Dora.: Man sieht ein Gesicht,
das verführt und droht.



Ein Schatten, der von der Ununterscheidbarkeit der gemalten Herren vertieft wird. Schon der Nebentext redet singularisch von einem Bild, es hängt den Frauen an der ebenfalls singularischen Seite; eine zweckfreie Nuance des Textes allein. Ohnehin sagen die entweder zu nur einem Bild sich ergänzenden oder (Variante der Wiederholung) minimal differenten Attribute der Herren den ersten Singular noch einmal, während sie den zweiten, siamesischen schon aufzulösen beginnen: Fiordiligi spricht auf noble Erscheinung, Dorabella, fixer und direkter, auf Flammen und Pfeile schießende Blicke an, analog drückt sich die eine statisch-attributiv: "un sembiante, guerriero ed amante", die andere beweglich-verbal aus: una faccia, che alletta e minaccia". Das ist wie bei den Herren in Szene 1 ein bemerkenswerter Hauch von Differenz, beinahe sofort eingeholt vom Standard.
Das Duett hat vier Phasen: die Blickparallelen zu Beginn; die von der Indifferenz der Bilder und Floskeln unterstützte - nicht zwingende - Möglichkeit eines Überkreuz der Blicke, eines Tausches; einen magischen Augenblick des Glücks;

Io son felice/ Felice son io.

und einen Schlusssatz, der, scheinbar unmotiviert, tatsächlich die andere Seite des Augenblicks ist. (Weshalb er sich auch auf "desio" reimt.)

Die Gegenwärtigkeit dieses Theaters schließt rigoros alle heimlichen Imperfekte aus, die ein späteres bemüht, Wirklichkeit und Kontinuität zu simulieren: wie die Schwestern dazu kommen, unverheiratet, allein mit ihrer Dienerin, das Haus mit Garten zu bewohnen, wird sowenig erzählt wie etwa charakteristische Begebenheiten aus Alfonsos Leben. Derlei ist ohne Belang, dafür aber verlangt sich da Ponte alles ab, was die reine Präsenz überhaupt transportieren kann. Auch die Schlusszeilen des Duetts fallen nicht aus den Wolken einer allzu mechanischen Phantasie. Sie lassen die Schwestern eines Augenblicks inne werden. Dessen Substanz wird von den Hälften des Duetts, dem Vorher und dem Nachher interpoliert.


Se questo mio core
Mai cangia desio,
Amore mi faccia
Vivendo penar.

Wenn dies mein Herz
je das Verlangen wechselt(e),
mache Amor mich
lebhaft leiden.


Schließen sie mit einem "Gelöbnis" die Wandelbarkeit ihres Herzens aus? Läßt sich das Wesentliche mit: "Wenn je ihr Herz sich von den Liebsten abwendet, dann soll Amor sie bestrafen" [ Kunze S. 492] wiedergeben? Amor straft nicht, er quält. Von den Geliebten ist gar nicht die Rede. Die Entdeckung der Schwestern läßt sie nur vom eigenen Verlangen sprechen. Das Aufflackern der Liebe ist ganz unschuldig an den Wechsel gekoppelt. Das ist wesentlich für die Entwicklung des Stücks, und darum müssen wir hier genau sein. Die Aversion der frühen Kritik gegen diese (frivole!) Oper verrät eine Empfindlichkeit, die uns heute abhanden gekommen zu sein scheint. Von einem Gelöbnis bleibt nicht viel, und Mozart tilgt den Rest. Seine alles andere als die Gelöbnispose fixierende Komposition darf praktisch gar nicht in den Blick nehmen, wem an "echtem" Gelöbnis gelegen ist. Ein frisch banaler, vorfreudiger Überschwang ist darin, mit dem man heute Tütensuppen verkauft.

Zum Abspielen dieser soundgimmicks brauchen Sie den Macromedia Flash player.

Die Entwicklung des Duetts schließt ein Breittreten etwa des schief feierlichen "questo mio core" aus. Mozart hält sich nicht damit auf. Der Text schon zieht der Floskel einen Sinn zu, den sie sonst vertreibt; der "Gelöbnis"-Pose das gerade Gegenteil feierlicher Leere: Unruhe der (vertauschten) Herzen läßt die Schwestern ihrer doppelt sich versichern.


Fiordiligi e Dorabella guardano un ritratto che lor pende al fianco. Jede für sich im Bild ihrer Träume, das Bild ist nichts, der Blick alles; einsamer Überschwang, der sich mitteilen will: so setzt das Duett ein. Sie führen mehr sich selbst vor als ihre Bilder, die sind zum Verwechseln. Am Anfang läßt da Ponte die Attribute der Herren heimlich zu einem Bild sich ergänzen. Dann bringt die Konversation wirklich zwei Bilder hervor, - identische. Das Auseinandertreten der zwei Bilder aus dem einen ist genau komplementär zum Ineinanderfallen der Schwesternstimmen. Dem träumenden Verlangen dämmert im Moment schönster Selbstgewissheit ein wirkliches Gegenüber: im Bild der anderen. Auch ohne daß jede ins andere Bild sich vergafft, hat ihre Liebe, mehr oder weniger abstrakt (Fiordiligi oder Dorabella), den Anderen entdeckt. Das ist ihr Glück, rein und komisch zugleich. Matrimonio presto.

Und nun Schluss mit der Jugendvorstellung: die Szene noch einmal. Zwei Damen im Garten, Primadonnen, die Unschuld mimen.
Ach ist er nicht süß?
Und meiner erst.
Lieb und stark.
Hart und zart.
(unisono)
Ich bin ziemlich scharf.
Etwa tauschen? Das wäre ja aufregend schrecklich von uns...
(Rez.:)
Mir scheint, ich hätte nicht schlecht Lust, mich ein ganz klein wenig daneben zu benehmen, ehrlich, ich komme um vor Sünde.
Um dir die Wahrheit zu sagen: mir geht's genauso. Ich schwöre dir, die Tage Hymens sind gezählt [Gelächter].
Matrimonio presto.

Klappen Sie beide Versionen übereinander, dieses Theater schließt sie nicht voneinander aus. Es gewinnt nichts durch imperfekte Histörchen zur Person und alles aus der Präsenz. Wenn es simuliert, führt es zugleich die Simulation vor, die Wirklichkeit des Theaters. Und es faltet seinen Raum erst mit der Frau ganz aus. Sie ist das Meer, der Garten, das Theater ist weiblich. Die Schauspielerin ist immer zu Hause. Sie wird als Mädchen Erfahrungen machen, die sie als Frau schon hat. Sie werden bemerkt haben, daß die unkeusche Version des Duetts durch seine Fortsetzung im Rezitativ plausibel wurde. Das ist kein Zufall. Im Nebentext zum Duett fehlt eine aktuelle Zeitangabe. Die hätte die mythische Dimension des Anfangs, Ursprung und Nymphenland vertrieben. Die Szene schlägt einen Bogen, der aufsteigt in mythischer Frühe von Meer und Garten und sich neigt zum Morgen eines wirklichen Tages: "Son già le sei". Sechs Uhr, und die Herren sind zu spät. Die Kritik scheint sich, mit Dorabella, zu fragen: Was zum Teufel soll das heißen? Es gibt nur eine Antwort, denn man steht auch im Neapel des Jahres 1790 nicht mit der Sonne auf, wenn man kein Bauer ist. Die Damen warten schon länger, ihre Herren haben es vorgezogen, die Nacht in der Bar zu verbringen. Sellars hatte die naheliegende (aber eindimensionale) Idee, zwei routinemüde Paare allzulang Verlobter vorzustellen.
Es scheint, den frühen Bearbeitungen des Stückes war nichts unerträglicher, als das Zugleich der weiblichen Bewegungen, das Theater der Frau. Diese Erfahrung hat Alfonso den Offizieren voraus, daher seine Nähe zum Theater. Aber seine Vorstellung ist schwach, sein Lachen zwiespältig. Wir bekommen es, auch wenn oft die Rede davon ist, nur ein einziges Mal zu hören. Da denunziert es das Theater, es läßt die Kette hilfloser Beweise, die die Offiziere zur Treue ihrer Verlobten beibringen, in "Tränen, Seufzer[n], Ohnmachten" versinken: lauter üblen Nummern aus dem Theater der Frau. Alfonso muß froh sein, wenn er mitmachen darf. Er weiß immerhin wie er es anstellt, er wird als erster die wahre Bühne betreten, und - Theater, grausames Schicksal spielen. Das Duett hat den weiblichen Raum installiert, seine Dimensionen zeigen: der männliche Raum der ersten Szene war eng und beschränkt. Er wird nicht wieder betreten.

Da Pontes Komödie produziert unablässig Wiederholungen, die Spiegel sind kaum zu zählen, schon weil sie untereinander reflektieren. Dieser Blick ins Spiegelkabinett hat die Kritik gern von der "Symmetrie" des Stücks reden lassen. Von da waren es zum geistreichen Spiel, zur artifiziellen Mache, zum allzu rationalen, technizistischen "Experiment mit Gefühlen" (das allein Mozarts Musik human erwärme) nur wenige Schritte in die falsche Richtung. Man hat übersehen, daß einer Verhandlung der Treue die Wiederholung nicht äußerlich ist. Wiederholung ist die integrale Figur des Stücks, aber die Spiegel sind lebendiger verstreut als die einfachen Symmetrien uns bedeuten. Eine Wiederholung z.B. verknüpft, im Unscheinbarsten, das getrennte Vorspiel der ersten Szene mit dem Theater der zweiten. Fiordiligi nimmt mit ihrem ersten Satz das Stichwort des Herrentoasts: "replicati" auf. Sie fragt, ob man eine noblere Erscheinung noch einmal finden, wiederfinden kann: "ritrovar" bricht "replicati" und beide sagen, Spiegel im Spiegel, die Wiederholung, das zweideutige Gesetz.






I/3


Alphonso hat keine Philosophie. Das Lachen hat sie getilgt. Es gibt keine Lehre. Es gibt allein die Wiederholung. Mit dem Alter ist sie leer geworden, ein guter Witz, günstigstensfalls. In der Zwiespältigkeit seines Lachens liegt die ganze Spanne zwischen Verneinung und Lust: dabeisein, Theater spielen, eine Intrige schüren.
Ohne Schnitt in die dritte Szene. Fiordiligi, ganz bereit, das Außen nach Maßgabe ihrer Wünsche zu beurteilen, wähnt die Herren endlich gekommen. Dorabella sieht hin: Alfonso pathetisch [: rudert mit den Armen, grimassiert]. Ihre dramatische Reaktion macht jeden Nebentext zu seiner Schmerzenspantomime überflüssig. Beide forcieren das Theatralische. Das gerät einer Inszenierung stimmig, wenn sie zeigt, wie das Theater dem Theater entgegenkommt.
Die Herren müssen Theater spielen um den weiblichen Raum zu erreichen. Die Intrige selber einigt die Geschlechter, gleich wie das Finale ausfällt. Daher unser Unbehagen, wenn in Così falscher Ernst gepaukt wird; dieser Ernst verharmlost alles und kassiert die Frau: die Intrige ist tot, die finale Versöhnung eine Niederlage.



Alfonsos Arie (Nr.5)

Unsere Herren mußten getrieben werden zur Intrige, das allein bezeichnet Unwissenheit und selbstgefälligen Besitzerdünkel. Diese Langweiler!; getrieben von einem, den sein Alter zum Statisten degradiert und der sich darum mit Regie befasst. Der vecchio filosofo: will sprechen und kann nicht, die Lippe zittert, die Stimme bleibt ihm auf der Hälfte stecken: das liegt nah an der Wahrheit und ist doch tröstlich zu Theater verwandelt. Impotenz markieren, im größten verbliebenen Vermögen, dem Sprechen: Das ist ihm auf den Leib geschrieben. Die Ironie, entsetzte Sprachlosigkeit in diesen schulmeisterlich durchgehauenen Viertaktern vorbringen zu wollen, schlägt auf ihn selbst zurück; Mozart hilft seiner Nummer auf die Sprünge. Und holt doch, ohne der unmittelbaren Wirkung Abbruch zu tun, Ironie wie Pedanterie der Verse dadurch ein, daß die den Text buchstäblich zerfetzende Unregelmäßigkeit der musikalischen Diktion zusammen mit anderen bewährten Ingredienzien ein "Schulbeispiel" [ Kunze S.492] des Arientyps bietet, distanzierter noch als ein Zitat.

Wer Parodie für einen leeren Ulk hält, hat recht, Alfonsos Arie vor einem Mißverständnis bewahren zu wollen. Die Seria-Parodie allein, als Hieb der Buffa, wäre ein dürftiger Lacher. Nun gibt es aber für das Verfahren Mozarts vorläufig kein angemesseneres Wort als eben Parodie, und nicht vor den strittigen Nummern allein. Die ganze Oper ist in einhelligem Bemühen ihrer Autoren parodistisch, ohne darum im Unsinn zu ersticken. Das parodistische Verfahren steuert Plot, Szene, Figuren, Sprache und Musik vom ersten Blick bis in die letzten Details. Es ist keineswegs dazu da, jeden beliebigen Augenblick der Vorstellung in einem Gelächter zu versenken. Parodie bringt das lebendige Gesetz der Wiederholung auf das Theater, ohne daß das Theater selbst sich ihm entzöge. Daher die erstaunliche Freiheit des Stückes, ohne Plausibilisierungen auszukommen, alles leuchtet ein, die vom Standpunkt eines schwächeren Theaters groben Unwahrscheinlichkeiten - was in Così ist wahrscheinlich? - legen nicht den mindesten Schatten auf eine alles bewahrheitende Gegenwärtigkeit, die sich einem Netz von Reflexen, Wiederholungen, Parodien verdankt. Die Ereignisse sind Reflexe, das genügt. Gleichgültig ob Reflexe des Fernsten (Mythos), der Theatertraditionen (Seria, Buffa, Comedia dell' arte), des Nächstliegenden (Selbstbezüglichkeiten), von allem gerade soviel, als der Augenblick mühelos tragen kann. Der Sinn, den der einzelne Reflex macht, steht der Präsenz nicht tiefsinnig im Weg. [ - Darum auch kommt gerade modernes Regietheater mit seinen Einfällen und Bedeutungshubereien so leicht vom Kurs. - ] Die konsequent vollständige Verschiebung aller Bühnenereignisse aus der plausiblen Simulation zur Parodie gibt nicht, wie befürchtet, umstandslos den Augenblick der Lächerlichkeit preis: sie macht ihn wahr, unter dem alles wirkenden Gesetz der Wiederholung. Eine Musiksprache, die, wie Mozarts in Così, dicht an einem traditionellen Kanon der Formen und Figuren gebaut ist, muß die nötigen Distanzen nicht erst der eigenen "Originalität" abringen, das Problem stellt sich gar nicht.
Daher führt die Vorstellung vom "Theater im Theater" leicht auf die falsche Fährte. Sie hat den Vorzug, prompt einzuleuchten, ohne klären zu müssen, was eigentlich sie unter dem zweiten, übergeordneten Theater versteht. Sie spaltet die Intrige der Herren von einer blanken Simulation, die es in Così gar nicht gibt. Sie ist ein Vehikel, gewisse theatralische Auffälligkeiten von Così der Intrige allein zuzurechnen, ohne einen unangemessenen Begriff vom Theater im Allgemeinen revidieren zu müssen. Die Formel vom Theater im Theater funktioniert, solange sie das die Intrige einbegreifende Theater nicht mit Natur identifiziert; der Gleichung Frau/Natur die repräsentative Distanz erhält und, Mozart zugewendet, nur, wenn sie nicht eine Neigung zu humoriger Distanz (Theater...) allein darum zugibt, weil das (...im Theater) die musikalische "Wahrhaftigkeit" retten hilft.
Alfonso treibt die Kunst, es spannend zu machen, so weit, sogar Fiordiligi zu reizen; sie reagiert erst zart mit "non ci fate morir" - eine Wendung übrigens, die der Sphäre heiterer Konversation eher angehört, als daß sie der Erwartung eines Schicksalsschlages Ausdruck verliehe - und zerreißt den Faden endgültig, als das geschwätzige Getue Alfonsos kein Ende zu nehmen droht: "Che cosa, dunque?" Sobald die erotische Komponente seiner Kunst fühlbar wird, ist Alfonso lächerlich und den Mädchen unterlegen. Die Enthüllung ist dann, was bleibt, Triumph Alfonsos und deutliche Grenze seiner rethorischen Erotik. Ein Triumph immerhin, wenn auch niemand ihn so zu würdigen versteht wie er selbst: Er, Alfonso, ist der König, "marcial campo" der Ort des Geschlechterkampfes: hier kehrt die im Duett angedeutete Überlagerung der Felder Krieg und Liebeskrieg wieder. Das Stück wird, ohne die Differenz ganz zu tilgen, diese Schichtung nicht etwa als nebensächlichen Gag über die Strecke bringen, sondern in Fiordiligis letzter Bewegung zur Kapitulation, ihrem Entschluss, selbst ins Feld zu ziehen, zu einem Hauptspaß verdichten.
Alfonsos Lust, sich als König der Intrige zu genießen, provoziert außer dem rethorischen Striptease eine kalauernde Wahrheitsliebe noch in der Täuschung. Er lügt nicht, er orakelt.

Convien armarvi,
Figlie mie, di costanza.

Es schickt sich, meine Töchter, daß ihr euch mit Standhaftigkeit, Beständigkeit, - Treue wappnet. Er hält den Frauen die Wahrheit wie einen Fisch vor die Nase, wenn es auch stinkt bis ins Publikum, sie riechen ihn nicht. Wirklich nicht? Nein, nicht wenn die Vorstellung ein "natürliches" Gespräch simuliert (und glaubt solcher "Natürlichkeit" am nächsten zu kommen, wenn sie uns zwei hilflos betroffene Mädels zeigt). Wir haben allen Grund, der Kommunikation mit doppeltem Boden den Vorzug zu geben. Es rächt sich, wenn man beinahe jeden Preis für die "Natürlichkeit" auf dem Theater zu zahlen bereit ist: den Spaß, eine Komödien-Primadonna ihr "stelle", "ohime" usw. rufen zu hören, können hierzulande öffentlich nur abseitige Komiker nachvollziehen (Henscheid), auch Nagel muß an die "formation" der Primadonna auf dem Theater erinnern. Wie im Duett muß meine Analyse die theatralische Souveränität der Frauen auch hier forcieren, damit sie überhaupt bemerkt wird. Die Damen ("Ferraresi") spielen Theater. Es ist ihr Lieblingsspiel und ihre profession, die Leute zahlen Geld dafür, sie glänzen zu sehen. Spätestens am folgenden Quintett muß eine kritische Lektüre (auch der Musik) stutzen; weder Mozarts noch da Pontes Text liefern die Frauen dem haltlosen Geflenne aus, das die Routine ihnen und uns zumutet. Daß heißt, selbst befangen in der Vorstellung eines reinweg simulierenden Theaters hätte die Kritik ein vom Eingeübten stark abweichendes Bild gewinnen können, wenn nicht der ungebrochen simulatorische Ansatz und eine stereotyper Ruhm Mozarts so eng zusammenhingen. Dieser Zusammenhang ist der Kern einer "Parodie"-Disskussion, den sie kaum je streift.

Kunze glaubt das Stück gegen den Vorwurf der "Frauenfeindlichkeit" verteidigen zu müssen: "Zugegeben, eine Lehre wird in Cosi fan tutte nicht ausdrücklich gezogen: (...) daß letztlich nicht die natürliche Untreue, angeborener Leichtsinn die Ursache für den Sinneswandel der Mädchen ist, sondern die fahrlässige Treueprobe selbst. Deshalb warnt Don Alfonso die Freunde, sich darauf einzulassen. Fiordiligi und Dorabella wären sonst kaum auf die Idee gekommen, ihren Verlobten untreu zu werden." [ Kunze S.454]
Wir begreifen die Not, Alfonsos Lust zur Intrige derart in ihr Gegenteil zu verkehren; die auch von anderen vertretene Behauptung, er warne die Freunde, soll eine moralische Schwäche des Così-Plots entschuldigen. Darum auch sind Fiordiligi und Dorabella brav. Zu solcher Gesittung verhilft die Vorstellung vom Theater im Theater, wenn sie ein (simulierendes) Theater unterstellt, das von der Intrige pausenlos verdeckt ist. Das eigentliche Theater ist der Ort eigentlich braver Mädels. Im wirklichen Stück nämlich fällt ihnen der Wechsel so ziemlich als erstes ein. Das alte Mißverständnis des Duetts als Treuegelöbnis ist nicht etwa Ursache der Vorstellung vom braven Mädel sondern deren Folge. Die Intrige verdankt sich dann dem "Faktum", daß eigentlich brave Mädel natürlich-untreu, die Versöhnung dem, daß natürlich-untreue Mädel eigentlich brav sind. Die "natürliche Untreue", die "Natur der Dinge" sind konventionelle Formeln, die beide Hälften der Gleichung Frau/Natur auf kleinster Flamme einkochen: die Lust der Frauen ist nichts als der grausam provozierte Fehltritt artiger Mädel. Così aber verhandelt seinen Gegenstand nach einer älteren Geschäftsordnung. Es nimmt "Natur" ungleich ernster (oder leichter) als es dem Biedersinn erträglich scheint, weil es keine nach den Wünschen des bürgerlichen Publikums eingerichtete "Natur" simuliert (ja, diese Simulation regelrecht hintertreibt), und darum auch seine Primadonnen nicht aufgibt; Così weiß (noch und schon), daß eine veritable Primadonna die "Natürlichkeit" braver Mädels um Längen schlägt.
Als Alfonso endlich enthüllt, was er zu melden hat, brechen Fiordiligi und Dorabella in den tragische Ruf aus:
Ohime, che sento!
Eine Vorstellung, die sie hier am Boden zerstört sieht, verpasst die praktischen Haken, die sie unmittelbar danach ansetzen:

E partiran? [Und sie reisen ab?]
E non v'e modo d'impedirlo? [Und das ist auf keine Weise zu verhindern?]

Beides muß Alfonso so kurz als möglich parieren. Noch Fiordiligis
Nè un solo addio?
ist einer beleidigten Primadonna durchaus würdig, wenn es auch dem empfindsamen Kummer, den alle so lieben, schon Raum gibt. Damit scheint der Widerstand gebrochen. Alfonso dankt, indem er die Damen mit Schnörkeln hofiert. Er sorgt für den Auftritt der Helden vor, nennt sie "Unglückliche", ohne Mut, ihre Damen zu sehen; was alles erst Sinn macht, wenn eine Inszenierung in 200 Jahren Tiefe ausgräbt, womit Alfonso selbstverständlich rechnet: die Wut der Frauen. Uns heute ist sie die große Überraschung des Quintetts. Alfonso, der Bote, kommt ungeschoren davon, die Herren haben doppelten Anlaß zu weichen Knien. Sie markieren Erschütterung, sie betreten das Theater.
Amici, entrate.






I/4




Quintett (Nr.6)

Alfonso hat den Herren die Schwierigkeit, wirklich lügen zu müssen, aus dem Weg geräumt. Sie müssen keine Fakten produzieren, gerade Unsicherheit ließe sie ihre Rolle finden, da konvergieren Original und Fälschung. Guglielmo gibt vor, nicht gescheit laufen, Ferrando kein Wort hervorbringen zu können. Alles recht theatralisch, dieser Fuß, meine Lippe.


Gugl.: Sento, oh Dio, che questo piede
E restio nel girle avante.
Ferr.: Il mio labbro palpitante
Non può detto pronunciar.

Gugl.: Ich fühle, oh Gott, daß dieser Fuß
sich nicht vorwärts bewegen will.
Ferr.: Meine zitternde Lippe
bringt kein Wort heraus.

Szene und Text überflüssig verdoppelt, und sie reden auch niemanden richtig an: Wenn die Herren sich lustig machen, die Komik kassiert zuerst sie selbst. Guglielmo stockt voran und spricht: ich stocke. Ferrando fällt nichts anderes ein, als Alfonso zu wiederholen. Der stammelte von der Schwierigkeit, zu sprechen, Ferrando, einen Schritt zu weit, von der Unmöglichkeit. Und Mozart lässt Ferrando hängen: nicht das leiseste Zittern, geschweige das Stammeln Alfonsos, sondern die terztreue Wiederholung Guglielmos, mit dem jetzt blödsinnig schwelgenden Nachsatz auf "non puo detto pronunciar", und den Schrittnoten der ersten Zeile: Ferrando kopiert auch Guglielmos Stocken noch, mental. In Ferrandos Fall (der soll ja nicht auch noch humpeln!) werden die Schrittnoten frei, ein Zögern schlechthin zu bezeichnen. Die Figur wird zur Formel mit Textvariabler und bezeichnet den buchstäblich stockenden Schritt Guglielmos wie dessen Transformation zu reinem Geist: Blödigkeit Ferrandos.


Alf.:Nei momenti i più terribile
Sua virtù l'eroe palesa.

Alf.: In den schrecklichsten Momenten
beweist der Held seine Tugend.

Alfonsos Zweizeiler identifiziert den fingierten mit dem realen (Liebes-)Krieg: der rührende Soldatenabschied, ein erster Angriff gegen den Feind, die Braut. Die Herren aufziehen (Zivilist durch und durch, macht er über den Anlass hinaus ihre Helderei lächerlich), die Damen reizen (sein pietà-Gebaren widerufend), im herrschaftlichen Ton des gebieterischen Diktums; was kann man von einer Floskel mehr verlangen? Welches "persönlichere" Wort erreichte ihre kommunikative Dichte? Müssen wir einen "wahren" Alfonso erst lange suchen?

Die Helderei, wie lächerlich auch immer, schließt die Mädchen aus. Wer das Stück oft gesehen und gehört hat, ist bei einer näheren Lektüre überrascht, wie glänzend sie den Angriff parieren. Fallen sie denn nicht, ganz Opfer, in ein haltloses Schluchzen, welche Inszenierung oder Aufnahme auch immer?


Fiordiligi e Dorabella:
Or che abbiam la nuova intesa,
A voi resta a fare il meno;
Fate core, a entrambe in seno'
Immergeteci l'acciar.

Nun da uns die neue Abmachung bekannt ist,
bleibt euch nur das wenige zu tun;
habt das Herz, uns beiden in die Brust
den Dolch zu stoßen.


Ihr hoher Stil transportiert nicht bloß die (komische) Verknüpfung von rollenbewußtem Pathos und verstörter Liebesmetaphorik sondern schlicht: Wut. An der codegerechten, aber defensiven Antwort der Herren

Idol mio, la sorte incolpa
Se ti deggio abbandonar.

merken wir es zuerst: "das Schicksal beschuldige, wenn ich dich verlassen muß" - die Herren weisen jede Schuld von sich, dem Schicksal zu, und, Verdopplung, müssen, was sie nicht wollen. Denn der wütende Ausbruch der Frauen hieße in Klartext: Nur über unsere Leichen, "fate core", wagt es! Am wenigsten ist das "la nuova intesa" (die neue Vereinbarung / Abmachung) ein Mißgriff ihrer Stilübung und in der Übersetzung etwa zu korrigieren mit "die Nachricht". Wie kein zweites Wort drückt "intesa" aus, was die Mädchen so erbost: ihren Ausschluss durch die Heldenherrlichkeit. Sie sprechen von Abmachung, wo die Herren das Schicksal bemühen. Als akzeptierten sie die Helderei, unterwerfen sie sich ihr mit entstellender Konsequenz. Wo der hohe Stil Fügsamkeit signalisiert, dreht schon "intesa" den Spieß um; der flüchtige Sinn der Phrasen kehrt mit einer Wut zurück, als meinten sie es ernst.
Diese Umkehrung kennzeichnet die Sprache der Frauen im ganzen Stück. Ihre Lust rennt einem Sinn hinterher, den die Sprache der Herren verflüchtigt. Während diese ihre Phrasen brauchen, den Sinn zu deformieren und abzuschieben, drängt die weibliche Energie zur Präsenz des Körpers noch in den ihnen fernsten Floskeln; je frustrierter, desto höher geschraubt. Was aber durch ihre Phrasen drängt und den flüchtigen Sinn substituiert, ihre Lust, ist selber außer komisch auch mythisch: eine Schleife, die einem oberflächlichen Versuch, "Così" als frauenbewegtes Stück zu lesen, das Ziel vorenthält.
Obwohl aus Phrasen desselben Codes zusammengesetzt, folgt die Sprache der Parteien verschiedenem Gesetz. Beiden bereitet es komische Niederlagen. Zwar ist es die ewiggleiche Lust der Frauen, die den Sinn ihrer Phrasen rettet, wenn auch komisch lädiert; den Herren aber, wie sehr ihre Sprache ihn auch vertreiben will, kommt er ungebeten zurück.

Die Vorstellung der Frauen als arme Opfer einer chauvinistischen Herrenwette, verrät ihre Grenzen darin, daß sie die Frauen nach wie vor erbarmungslos jammern läßt, wo sie im Text, Mozarts so gut wie da Pontes, vor Wut beben. Die Stelle belegt, wie leicht eine voreingenommene Librettolektüre den musikalischen Text in Mitleidenschaft zieht.

Or che abbiam la nuova intesa

Mozart hat genau hingesehen: die Frauen flennen eben nicht, ihre Tonrepetition insistiert auf der Verschiebung, die dem geschraubten Stil (Zeichen der Fügsamkeit) Lust und Wut rettet: "intesa". In das Wort selbst setzt er einen (chromatischen) Schritt aufwärts (Dorabella), dissonant zum Grundton in Bässen, Bratschen und Hörnern, und markiert es mit einem Nachschlagen der Stufentöne (Klarinetten und Fagotte) in einer gespreizt langsamen und rhythmisch durchbrochenen Version der kommentierenden Bläsertriller. Auf dieser Stufe wird die Textzeile wiederholt, bei "intesa" erreicht der chromatische Schritt aufwärts Terz und Quinte des Grundtones - das Zeichen schließt sich -, leicht verzerrt vom (verkürzten und um ein Achtel vorgezogenen) Triller der Bläser. Jedesmal übernehmen die liegenden Stimmen (Bässe, Bratschen) den pochenden Puls der Singstimmen oder (Hörner) unterstreichen die Unruhe. Erst die Fortsetzung

A voi resta a fare il meno

scheint dem Verlangen nach Tränen entgegenzukommen; in den Singstimmen weiche Punktierung, Quartgang abwärts und die längsten Notenwerte des Vierzeilers, der aggressive Stau löst sich, die Frauen geben nach. Wirklich? Die Geigen jedenfalls haben etwas anderes im Sinn, durch das Kürzen der betonten Achtel wird aus dem repetitiv Insistierenden eine durchtrieben harmlose, gedämpft alarmierende Figur, sie peilen eine Überraschung an: den martialischen Gestus des

fate core [,fate core].

Hier wird den Kriegern das Marschieren heimgezahlt. Sprechen Sie sich den ganzen Vierzeiler laut vor, in gereizt sarkastischem Ton: das ist der frappierende Schlüssel zu Mozarts Melodiebildung. Die Erinnerung an seine Gesangslinie unterstützt Ihre Bemühungen derart nachhaltig, daß Sie die outrierten Heulsusen neuerer Produktionen nicht gut möglich finden; Opfer einer Interpretation, die mit der unschuldigsten corectness aus den Frauen nichts lieber macht als eben Opfer. Auch mit dem nächste Abschnitt

a entrambe in seno
immergeteci l'acciar [1]

ist keineswegs der Punkt erreicht, wo ein "hilfloses Klagen" "fast nach Kinderart in ein herzbrechendes Schluchzen übergeht" (Abert). Sie sind eben keine Kinder mehr; nicht deren Tränenseligkeit, sondern die gekränkte, in den Heldenkitsch verirrte Lust der Frauen hat die harmonische Extravaganz, das Geigenlamento der Passage provoziert, und was einen Moment nach Kapitulation aussieht, wird im nächsten dementiert, so gründlich, daß echte Schwäche jetzt wie ein Sarkasmus wirkt. Die pointierten Achtel der wiederholten Schlusszeile

immergeteci l'acciar [2]

bündeln die disparaten Momente zu reiner Wut, gültig adressiert im rhythmischen Unisono aller Stimmen.
Wohlverstanden: daß die Frauen noch das Heulen kriegen, steht fest, sonst macht Guglielmos erster Satz danach: "Non piangere, idol mio!" keinen (oder einen etwas zu raffinierten) Sinn. Ob sie aber gleich zu Anfang losheulen oder ihre stets unterschlagene Wut Schritt für Schritt zur Verzweiflung treiben, macht einen Unterschied. (Übrigens habe ich doch noch eine Aufnahme gefunden, und zwar Eugen Jochum 1962, die voll realisiert, was hier gemeint ist. Wer die Stelle mit weinerlichem Ton im Ohr hat und sie sich nicht anders vorstellen kann, dem seien die Jochumschen Diven dringend anempfohlen. Es ist symptomatisch, daß dieser wirklich klugen Aufnahme vor allem das Erwachsene seiner weiblichen Protagonisten angekreidet wurde.)

Die - in der Komposition - stumpf den Anfang wiederholende Erwiderung der Herren (zusammen sind sie stärker, Ferrando weiß ja jetzt Bescheid) läßt den Zorn der Damen auflaufen. Einer weiteren Bemerkung Alfonsos greifen diese vor; wo die Herren Geschlossenheit vorführen, treten die Damen auseinander und wenden sich mit taktischem Instinkt jede dem ihren zu. Dorabella agressiv

Ah, no, no, non partirai! Ah nein, nein, du wirst nicht gehen!

eine Heftigkeit, die Fiordiligi bricht durch "crudel" und das förmliche "non te n'andrai": codegetreuer, nicht schärfer. Den Sinn, der eine Verstärkung Dorabellas wäre, verdrängt die Form: sie erkennt die "Grausamkeit" des "Schicksals" schon an. Dorabella, nun dichter am Code

Voglio pria cavarmi il core! Ich will mir eher das Herz ausreißen!

unterläuft ihn doch: das ist zu heftig, zu selbstbezogen auch; was hier fehlt zum braven Kind liefert wieder Fiordiligi nach

Pria ti vo' morire ai piedi! Eher will ich zu deinen Füßen sterben!

aber indem sie, zum ersten Mal, ihrem Namen Ehre macht . Analog komponiert Mozart die vier Zeilen in zwei Bögen, die jeweils Dorabella anreißt und Fiordiligi schließt.

Alfonso hat keinen Grund um seine Wette zu fürchten. Es ist die Sicherheit der Offiziere, die
komisch erschüttert wird, wenn sie sich ihrer vergewissern.

Ferr.: Cosa dici? Gugl.: Te n´avvedi? Alf.: Saldo amico: finem lauda.

Die eigentliche dramatische Funktion dieser sottovoce-Phrasen der Herren aber ist, vor dem gemeinsamen Schluss des Quintetts die Intrige als solche scharf zu erinnern und die Differenz der Parteien zu befördern.

"Sehr schön und wahr" schreibt Abert, sei "die folgende Steigerung bei den Worten 'Il destin cosi defrauda le speranze de' mortali'. Mozart treibt bei diesem frostigen Gemeinplatz seines Dichters die Erregung der beiden Mädchen auf den Höhepunkt...". Das führt die alte Teilung der Rezeption vor: frostiger Gemeinplatz auf da Pontes Seite, Schönheit und Wahrheit, auch Wahrhaftigkeit, auf Seiten Mozarts. Diese Begriffe sind unbrauchbar entstellt, das Zitat führt eine der gewöhnlichsten Verzerrungen vor: erregte Mädchen, zum Höhepunkt getrieben, geben Schönheit und Wahrheit der Steigerung zu verstehen (Text würde da nur stören). In der Così-Literatur sind diese Begriffe das erstaunlichen Indiz für eine vollkommen unbewußte, aber ziemlich eingespielte Phantasie, die sich um die "Mädchen", Fiordiligi vor allem, rankt.

Das Anstößige an da Pontes Text war vielleicht von jeher das forciert Musikalische seiner "Frivolität". Wie er durch sie der Musik nur ähnlicher wird und gelegener kommt, das sollte nicht abstoßen, wo man an die Moral der Musik glaubt?. So wird statt einer struktiven Gemeinsamkeit von Text und Musik nur der oberflächliche "Zynismus" da Pontes, seine "unzweifelhafte Ironie" gesehen, die retten und verpflichten Mozart: mag er auch zwinkern, Mozart meint es anders und ernst. Kunze: Seine "Musik gerät nie in Widerspruch zum beweglichen Komödiengeist und übersteigt ihn dennoch, indem sie unverstellt auf Innerlichkeit, auf Wahrheit der Empfindung zielt, die Wirklichkeit stets als Ganzes erfaßt, nicht bloß unter der Perspektive der Komödie. Daher rührt die Doppelbödigkeit gerade dieses Werks." [ Kunze S. 491] Wie schlecht wird doch die Komödie gemacht, wie dürftig im Grunde steht sie da! Selbst kein Ganzes, ohne innere Wahrheit, überstiegen vom unverstellten, innerlichen, wahrhaftigen Amadé! Dieser Vorstellung kommt die eigentliche Leistung des Librettos nur in die Quere, sie übersieht da Pontes Kunst der Phrase.
Wie muß ein Text beschaffen sein, den zum Schluss alle fünf singen können? Dieselbe Phrase mehreren Personen in den Mund gelegt und zwar so, daß der Kontext verschiedene Bedeutungen definiert, - eine Textfigur, nach der es nur Komponisten je verlangt hat und die darum ganz den Librettisten gehört.

Il destin così defrauda
Le speranze de' mortali
[So zerstört das Schicksal
Die Hoffnungen der Sterblichen]

Das überzogene Pathos der zweizeiligen Sentenz diskreditiert ihren Sinn und setzt die Möglichkeit verschiedener Haltungen frei. Die der Herren, die die Phrase herrschaftlich gebrauchen: Schicksal und zerstörte Hoffnungen bedeuten Freiwilligkeit und Lust. Das Hochtrabende läßt den Sinn der Phrase umschlagen. Ein Herrenspaß. Den Damen ist die hohe Sprache gerade nicht leer. Sie hängen in ihrer Schleife fest: einem Sinn nachrennen, den ihre Sprache selber verflüchtigt. Das Hochtrabende ist, wenn man so will, Zeichen der Umdrehungsgeschwindigkeit in der Schleife. Vor Alfonso kann ich den einfachen Sinn der Phrase nicht völlig ausschließen. Vielfache Bezüge ließen ihn einen Sinn streifen: seine Abneigung gegen das Militär, wenn man die Phrase auf die Leiden des Krieges bezieht, sein Alter andererseits: "mali" (a parte aus Nr.1) signalisierte den aus dem Geschlechterkrieg Ausgeschiedenen, sein Wissen um den Überschwang der Frau. (In der Phrase wäre wieder beides, Krieg und Liebeskrieg anwesend, wie schon in der stets zweideutigen Vokabel "campo" als Schauplatz beider.) Wenn er aber zu gern mit den Herren Offizieren paktierte? Gerade die Nähe zum Sinn in der Phrase durchkreuzte seinen Wunsch nach Teilhabe, heraus käme seine etwas jämmerliche Ironie.
Wird ein Stück, komplex wie "Così", vollständig aus Phrasen gefügt (niemand äußert jemals einen Satz, der irgendein persönliches Mal aufwiese), kontrolliert der Zusammenhang die Entstellung der einzelnen Phrase. So kehrt auch der einfache Sinn der Herrenphrasen wieder, weil seine Entstellung beständig selber verschoben und als solche gegenwärtig ist. Alles ist komisch, nichts ist komisch, das Stück macht Sinn. Nirgendwo darf eine (etwa ironische) Botschaft des Autors aus dem Gefüge des Textes fallen.
Die "Ironie" da Pontes ist ähnlich diskreditiert wie die "Wahrhaftigkeit" Mozarts. Beide Begriffe verschieben, was sie auszusagen vorgeben. In der "Wahrhaftigkeit" ist die Wahrheit zur süßlichen Geste verkommen, in der "Ironie" der Sinn zum Uneigentlichen. Das (durchaus ironische) Phrasengefüge ist von einer beunruhigenden Schärfe und Objektivität, beunruhigend nicht, weil die Wahrheit so schmerzte - gerade das Niederschmetternde kommt immer wieder in Mode, man verbeißt sich das Lachen -, sondern, weil es nicht vom Meinen eines individuellen Autors entstellt ist, fähig, ohne seine Wortmeldung Klartext anzubieten, beunruhigend, weil ein wahrhaftiges Genie und sein ironischer Liferant die persönliche Haftung verweigern.
Es ist unmöglich, die Sentenz schlankweg als schlichte Botschaft zu lesen, und genauso unmöglich, es nicht zu tun. Der Faden, mit dem die Personen des Stücks an ihren Phrasen hängen, droht in der Tutti-Sentenz zu reißen. Zwar hält der Kontext auch für die Sentenz, als einer Phrase wie andere auch, plausible Haltungen bereit (s.o.), aber sie lösen sich im gleichen Zug durch die Steigerung der persönlich beschränkten Phrase zur Tutti-Sentenz wieder auf, gleichzeitig gestützt und untergraben. Diese Spannung hält wohl den Sinn noch in der Entstellung fest, aber sie führt schon vor, wie er sich als allgemeine Wahrheit ausnähme.


Ah, chi mai, fra tanti mali,
Chi mai può la vita amar?
Ach, wer denn, bei solchen Übeln,
wer denn vermöchte das Leben zu lieben?


Dieses Verhältnis wird in den beiden letzten Zeilen nicht so aufgelöst, daß endlich ein objektiver Sinn sich bedingungslos durchsetzte, blindlings und bekennerhaft. Das Sentenziöse weicht einem schlichteren Ton, die divergenten Haltungen werden weniger zwingend, die Spannung zwischen objektivem Sinn und persönlichen Bedeutungen ist in eine (bewunderungswürdig musikalisch denkende) Geste transformiert, in eine Frage, die eine Antwort unterstellt und sie dem Publikum abverlangt.

Das sind Beobachtungen der Lektüre allein - immerhin hat man zu Mozarts Zeit Textbücher, nicht Programmhefte gelesen. Was passiert im Theater, wenn die verschiedenen Haltungen der Personen die Deformation der Sentenz besetzen? Die Sentenz wird ein Witz, ein Frauenfrust, ein Herrenspaß, aber das ist nicht alles. Der Witz schlägt um, weil derselbe Vorgang öffentlich der Sentenz das Sentenziöse kürzt. Heraus kommt ein Sinn, den keiner meint, die Frauen nicht, die Herren nicht, nicht einmal die Autoren - sie verwiesen, falls man sie zu belangen suchte, auf die korrekt installierte komische Deformation... Wie der Schlagton der Glocke ensteht dieser Sinn im Kopf des Hörers. Ein subversives Verfahren. Einen einfachen Sinn nicht nur konterkarierend neben der personenbezüglichen Deformation auftauchen zu lassen, sondern aus der wechselseitigen Abhängigkeit so freizusetzen, daß er als Botschaft über die Rampe kommt, eine Botschaft ohne eigentlichen Absender. Was passiert, wenn von der Sentenz das Sentenziöse abgezogen wird? Ist erst "das Schicksal" demontiert, schlagen wir plötzlich im wirklichen Elend der herzlich schlecht eingerichteten Welt auf. Wer richtet hier ein, das wäre die nächste Frage - und lautet etwa die Antwort auf die bohrende Schlussfrage des Quintetts zwingend: niemand?
Einen Text komponieren, der Frauenleid, Herrenspaß und Pamphlet zugleich bedeutet! Sorgfältig unterstützt Mozart zwei Haltungen zur Sentenz. Dabei ist seine Lesart von der oben vorgeschlagenen verschieden: Mozart läßt Ferrando die Frauen/Fiordiligi kopieren, was seine Teilhabe am Herrenspaß plausibel durchkreuzt; man hat das Mitleid genannt, eine empfindsam gestimmte, beinahe rührende Blödigkeit träfe es. Eine Differenz Alfonsos komponiert er nicht aus.
Der Übergang läßt Mozart die Differenz der Haltungen etwas zurücknehmen und den unausgesprochenen Sinn durch Heftigkeit im Gestus insinuieren. Ob die Herren hier aus der Rolle fallen, weil ihre beschränkte Intrige von der einfachen Wahrheit eines Augenblicks geschluckt wird, oder sich in reiner Heuchelei ergehen, steht dahin. Beides macht Sinn und beides zugleich den meisten. Ihre musikalische Haltung ist inkonsistent, und es wäre Mozart ein leichtes gewesen, das zu ändern. In den Sforzato-Akkord über "Ah" stimmen auch pathetische Witzbolde leicht ein, bei der fast schreienden Frage aber, wer das Leben lieben (ertragen) könne, wer, wer, wer, wer?, geht ihnen, selbst wenn sie lügen, die Schminke aus dem Gesicht. Und zwar beinahe wörtlich: weil die Frage auch eine nach den Tätern ist, auf deren Seite sie, Kriegshelden und Initiatoren der Intrige, für gewöhnlich stehen. Die subversive Kraft des Augenblicks löst aber auch sie aus dem Rahmen und gibt ihnen einen Augenblick die theatralische Souveränität zurück, die ihre Rollensimulation ihnen raubt.

Dieser durch das Theater schlagende Moment ist in der Literatur oft als "Bekenntnis" beschrieben worden. Mir lag sehr daran, zu zeigen, wie das Theater selbst ihn hervorbringt in einer Immanenz, die auch Mozart und da Ponte so vielleicht vorher noch nicht zuwege gebracht haben, ich denke an die Parallelstelle in der Maskenszene des Don Giovanni, "viva la libertà". Die Ansicht, Mozart steigere eine (banale) Komödiensituation zum "Bekenntnis", ersetzt die Objektivität Mozarts durch "Wahrhaftigkeit". Die ist sich selbst genug, sie vergißt, was da bekannt wird. Sie verleugnet das Theater der Phrase und die schöne Einhelligkeit, mit der Mozart und da Ponte es betreiben. Nicht Mozart läßt sich auf da Pontes "Ironie" mehr oder weniger ein, sondern umgekehrt gleicht da Pontes Text sich den Möglichkeiten der Musik an: mit der einzelnen Phrase der Leere der isolierten musikalischen Phrase, mit dem Phrasengefüge und seinem Sinnüberfluss der zusammenhängenden musikalischen Komposition.

Rezitativ

Wie weit es mit Dorabella zu kommen droht, empfindet, scheint´s, niemand deutlicher als Ferrando.


Gugl.: Non piangere, idol mio!
Ferr.: Non disperarti,
Adorata mia sposa!

Gugl.: Weine nicht, mein Idol!
Ferr.: Verzweifle nicht, meine
angebetete Braut!


Fiordiligi weint, Dorabella verzweifelt; erlaubt ist gesittete Trauer, Herzausreißen und Raserei sind es nicht. Fiordiligi gibt ihrer "Bewegung" eine Richtung, Dorabellas Verzweiflungswut überschlägt das Gegenüber. "Adorata mia sposa": Verlobte: dieses Wort, das Personenverzeichnis verzichtet darauf, will Besitz ergreifen, in einem Moment, da Dorabella fast schon verloren ist. Es will dem Opfer der Täuschung Halt bieten, Vertrauen sichern und am liebsten die Intrige verraten. Außerdem sieht man Ferrandos Phrase die Mühe an, Guglielmo zu übertreffen. Der hat schon das Quintett anfangen müssen: Ferrando ist wieder eine Spur zu spät und will aufholen.
Beides zusammen gibt die komische Figur des sensitiven Idioten. Eine Angst, die nichts ist, als ein unklar empfundener Mangel an Präsenz; die nicht weiß, was eigentlich sie ängstigt und es doch (in der selbstgefälligsten Manier) ständig ausspricht, ohne sich aufzulösen und zu begreifen: eine komische Figur so alt wie das Theater.
Ferrando überbietet die eröffnende Phrase Guglielmos, Fiordiligi hält mit. Sie kommt nicht los von Dolch und Schwert, eine Zote auf eigene Kosten. Und was für ein feierlicher Unsinn, den in den Krieg ziehenden Geliebten entwaffnen zu wollen - der wehrlose Krieger: um so sicherer das "grausame Geschick" ihm und ihr - ein Wunsch so grotesk, daß er schon wieder Sinn macht. Wie wohl tut jetzt Dorabellas Trockenheit. Wieder der Wunsch, zu übertreffen, aber in der entgegengesetzten Richtung.


Morrei di duol,
D'uopo non ho d'acciaro.
[Ich stürbe vor Schmerz,
ein Schwert habe ich nicht nötig.]


Sie bringt die Idee einer gewaltigen Seelenleistung ins Treffen, eine Verachtung für Schwerter überhaupt schwingt mit. Keine Zote, keine feierliche Selbstopferung mit Herrenfetisch, kein Masochismus; eine lapidare Dido und nicht ohne Vorwurf nach allen Seiten.

Die gemeinsame Erwiderung der Herren ist keine bloß äußerliche Überleitung zum Duettino, sie führt auch in seine krude Logik schon ein. Die Damen wollen sterben, wenn die Herren ein grausames Schicksal träfe, und nun mögen die Götter den Frieden der Damenherzen schützen
"ne' giorni miei"
: solange sie leben also, und gerade nicht im zu fürchtenden Fall. Damit diese Bedingung auffällt, steht sie heraus über eine in den zwei letzten Zeilen bis "cor" sich verdichtende Versstruktur. Hellhörig verstärkt Mozart die Auffälligkeit durch einen Oktavsprung. Fallen die Herren aus der Rolle, weil sie sich nicht vorstellen, daß andere ihren Tod möglich finden müssen? Eine rethorische Figur, die durch bewußtes Einlassen aufs Fragwürdige das Gut behauptet und Vertrauen ins Ungewisse wecken will? Später, beim ersten Auftritt der Albaner wird Alfonso die Aufregung der Frauen, "quella rabbia e furor" verdächtig, während die Herren sich daran freuen, ahnungslos. Auch hier ist fraglich, ob "la pace del [tuo] cor" den Mädchen irgend erstrebenswert ist; deren heftige Reaktionen halten die Herren für Liebesbeweise (und sind sie das nicht?), die Frustration ihrer Mädchen verfehlen sie. Durch Widersinn, Stellung und Mozarts Oktave macht "ne' giorni miei" das Verfehlen eklatant.



DUETTINO (Nr.7)

Die Herren wissen wieder nicht, was sie sagen. Darum aber behalten sie recht.


Felice al tuo seno
Io spero tornar.
Glücklich an deine Brust
Hoffe ich, zurückzukehren.


Die Hoffnung ist begründet, auch wenn sie im Traum nicht an Tausch denken. Schon im Duett der Mädchen wurde der Partnertausch-Komödie das Terrain bereitet. Das Duettino der Herren zieht jetzt nach, bedingungsweise. Aus einem Mund an eine Geliebte; weiter darf die Zweideutigkeit nicht gehen, eine Inszenierung, die mehr wollte, vepasste die Damenwahl. Der halb bewußten Neigung zum Bild der Schwester entspricht im Duettino die komisch unbedachte Zweideutigkeit.
Der Schlichtheit des Duettinos ist nicht zu trauen. Es ist voller Irritationen, deren Sinn sich schließlich im Schillern des "tornar" fängt: ein Drehen und Verwechseln, das über das vermeinte Zurückkehren (an den Busen der Richtigen) hinaustrudelt, ohne die willentliche Aussage der Herren schon arg zu lädieren. Dazu aber liegt das Gewicht der Zeile, der Strophe auf dem wendigen Wort und kann es doch nicht binden: die feine Diskrepanz seines Sinnes zu seiner Schlussstellung lädt es energetisch auf. Ich lege dem Text nicht einfach Mozarts Komposition an, ich bewundere den Leser Mozart: genau hierher setzt er die duettanalogen Girlanden, denn genau hier setzt die Energie des Textes einen reinen Sinn frei, diesseits metaphorischer Lösungen wie noch im Bild der Sterne: das Drehen, das Kreisen.
Auf alle Arten geschüttelt und verdreht ist das Duettino, um schließlich diesen Sinn zu destillieren, in einem Grad abstrakter Reinheit, der die Beschränktheit der Herren wie die Sterne am Komödienhimmel komisch übersteigt. Die erste zweizeilige Phrase entläßt durch einen Doppelpunkt einen kurzen Hauptsatz mit starker Schlusswirkung trotz piano-Endung. Punkt, Ende; eine (verkürzte) dreizeilige Strophe, bestätigt von der folgenden: dreizeilig, ohne Teilung, tronco-Schluss, zum Zitieren so fest. Der Kreuzreim der ersten vier Zeilen aber mißachtet die Verkürzung, unterläuft das Strophenende, statt es zu befestigen: das Duettino kommt ins Rollen. Erst auf "turbar" hält es inne, mit einem Effekt allerdings, der den des Reimwortes "tornar" andeutet, die Spannung zwischen Wortsinn und Stellung. Was die Herren allem Anschein nach vorbringen wollen, diese aus Galanterie und Trost gemischte Botschaft, nimmt einen so verdrehten Verlauf, daß, wer logische Verknüpfung sucht, schnell das Schwebend-Haltlose ihres Trostes begreift. So ungewiss den Mädchen ihre Rückkehr erscheinen muß, so trügerisch ziehen die Herren sie aus dem Hut. Das Feste und das Bewegte, Gesetz und Schicksal, hübsche Augen und grausame Sterne, Ruhe und Wandel, alles kreist und kehrt wieder - also auch die Herren Offiziere.
Weil eine offenkundige dramatische Funktion fehlt, wurde das Duettino oft gestrichen. Die kritische Rezeption hat es mit formalen Argumenten lieblos verteidigt. Es balanciere das Duett der Frauen symmetrisch aus, welche Ansicht dem Klischee vom "rationalistischen Experiment mit Gefühlen" Vorschub leistet, und es dürfe seiner Tonart B-dur als der "Brücke vom Es-dur Quintett zum F-dur Quintett" wegen nicht fehlen, eine Verteidigung so ratlos, daß jeder beherzte Theatermensch ein Argument für den Strich daraus macht. Der war solide Tradition und hat sich inzwischen beinahe von selbst erledigt. Einerseits sind (grobe) Striche einfach passé, und andererseits wird "Così" nicht wirklich spannender, wenn das Duettino fehlt, der Bogen der Abschiedsszenen kann die kalkulierte dramaturgische "Fehlleistung" gut verkraften.
Das identische Versmaß der Duette und das bloße zwei zu zwei der Protagonisten begründen keine formale Symmetrie. Ein Vergleich der Duette ist sinnvoll, weil ihre Inkongruenz Methode hat.
Beide Duette haben unterschwellig eine Wende im Sinn. Der Augenblick der Wende entzieht sich den Zeichen, die Duette führen zwei Möglichkeiten seiner Interpolation vor. Das der Mädchen zeigt eine (dialogische) Handlung, deren Schritte das Lesen in eine Bogenlinie rundet, die den wendenden Augenblick als ihren Scheitelpunkt berührt, "Io sono felice - Se questo mio core...". Bis zu einem gewissen Grad läßt sich auch das Duettino der Herren so lesen: sie wollen trösten und beruhigen, ihr galantes Geschwätz ergeht sich im Schein eines Beweises, dessen Schritte den dialogischen des Duetts sich vergleichen lassen. Nach außen stellt der Beweis seine scherzhafte Unhaltbarkeit aus, das gerade macht ihn galant. Komplimente beweisen nichts; liest man sie aber im Reflex der Intrige als Prämissen des Wettsieges, stellen sie Ansprüche und fügen sich zu einer verschwiegenen Argumentation. Aus den (haltlosen) Behauptungen in Beweisform ergibt sich das zweideutige Ergebnis der Schlusszeilen, wer an wessen Brust zurückkehrt: Kehrseite des wendenden Augenblicks, im Bogenmodell des Duetts. Die Ruhe, sprich: die Treue der Frauen gerade Amor zu unterstellen, dürfte immerhin galanter sein, als den Herren einfällt. Und damit holt ein unfreiwilliger Sinn ihren spaßigen Beweis gerade da ein, wo er schlüssig scheint. Auch ihre verschwiegenen Argumentation ist komisch durchkreuzt, alles purzelt munter durch einen paradoxen Raum, in dem Ewigkeit und Wende des Augenblicks kurzgeschlossen sind.
Mit "Gira:" [wende!] kommt endlich einmal das Unmittelbare für die Kosten seiner Vermittlung selbst auf, der Moment der Wende zeigt auf sich selbst. Seinem "natürlichen" Zeichen im Duett der Frauen steht im Duettino ein komisch reflektiertes, "künstliches" gegenüber. So smart aber sind die Herren nicht, daß sie hier nicht stolperten.
Die Selbstanzeige des wendenden Augenblicks durch "gira:" ist ein Witz, überflüssig im besten Sinne des Wortes. Das Duettino brächte seine Wende auch ohne ihn zuwege. Die Herren wähnen sich auf dem sicheren Boden der conclusio ihres verdrehten Beweises; sie haben die Intrige angezettelt, mag keine der Prämissen mehr sein als bloße Galanterie, der Beweisschluss steht fest: "Felice al tuo seno / Io spero tornar." Und jetzt rächt sich das munter Kurzgeschlossene: Komik der wahrsprechenden Ahnungslosigkeit. Das galante Durcheinander wendet sich gegen die Herren. Der entscheidende Unterschied zum Duett der Frauen: die Frauen sind Subjekte, die Herren Objekte ihrer Wende. Den oberflächlichen Fluss der Intrige unterläuft eine Gegenströmung.

REZITATIV

Alfonso ist mit sich zufrieden. "La comedia e graziosa". Er findet, auch die Herren machen ihre Sache gut. Nach ihrem hübschen Duett heischt seine Geste Beifall für ihn, den Theater-Impressario. Aber die leichte Drehung aus dem Stück zum Publikum ist weniger harmlos unmittelbar, als es scheint. Wir haben gesehen, wie der Text Präsenz und zweite Unmittelbarkeit durch Zitat, Parodie und wechselseitige Deformationen herstellt; auch hier, wo wir an das leicht peinliche Lavieren mit einem anachronistischen Überbleibsel des Jahrmarkts gewöhnt sind, führt da Ponte Alfonsos Geste, unserer trägen Erwartung entgegen, als Zitat vor.
Alfonso wähnt sich in Übereinstimmung mit seinem Publikum. Kann es aber seine Meinung teilen? Für den ersten, die Geste installierenden Satz ganz bestimmt. Beim zweiten wird es heikel. Alfonso ist froh, daß die Herren überhaupt durchgehalten haben, oder er übersieht gönnerhaft ihre Schwächen. So glatt wie er zu behaupten scheint, ging es nicht.
Und wie um unsere Zweifel zu bestärken, läßt Ferrandos prompter Ausruf ("O cielo!" usw.) durchaus zweifelhaft, ob er sich im (abschüssigen) Schwung des Duettinos zum Komödianten begeistert oder aber erschreckt von der wirklichen Trommel die halbe Komödie schmeißt und mit einiger Bestürzung ausspricht, was er selbst kaum schon ahnt.
Tatsächlich trifft weder das eine noch das andere zu, seine Reaktion ist nicht "persönlich" (und also nicht ins Individuelle zu forcieren: junger Mann, der sensitiv die bestürzenden Folgen des Spiels ahnt); Ferrando reagiert typisch.


O cielo! Questo è il tamburo funesto
Che a divider mi vien dal mio tesoro!

[Oh Himmel! Dies ist die verhängnisvolle Trommel,
die kommt, mich von meinem Schatz zu trennen.]


Der Selbstlauf eines Seria-Tenors, der, und das gerade ist komisch, trotz seiner typischen Beschränktheit auf eine Handvoll Affekte, Gesten und Vokabeln blind ins Schwarze trifft.
Ferrandos Phrase reflektiert eine Initiation. Die Trommel kommt ihn holen. Das mythische Bild schließt die "persönlichen" Alternativen kurz. Die todbringende Trommel, der Trommler, der Tod; in der dem Miltär Ferrando angemessenen Façon. Alfonso, Zivilist und Philosoph, übersetzt ins Griechische: "Ecco amici la barca". Die Bilder, vom Trommler, vom Nachen, fallen ineinander; Orpheus, erster Tenor, fährt zur Hölle. Ferrando, komisches Double, fährt auch. "La barca" aber schließt auch die aphrodisische Perspektive auf: Cythera. Ich mit! rufen Fiordiligi und Dorabella; die eine wird ohnmächtig, die andere, entschiedener, stirbt. Nur Guglielmo hält sich raus -.
Wenn "Ferrando" hier nicht persönliche Betroffenheit simuliert, sondern einen (verirrten) seria-Helden zeigt, der vom Kommando einer Trommel aufgeschreckt seine Phrase drischt, gelingt der Inszenierung das Zugleich von seriöser Bestürzung und komödiantischer Promptheit. Alfonsos Geste wird so zugleich ausgebaut und untergraben. Die funktionierenden Seria-Reflexe Ferrandos beweisen zwar, wie recht Alfonso hatte (...fan ben la loro parte), doch auf Kosten eben jener buffonesken Souveränität, für die seine eigene Geste steht.
Und nur wenn die Inszenierung zugleich mit der sonst herrschenden Simulation die falsche, heute doppelt falsche Unmittelbarkeit der Geste verabschiedet und sie ins Zitat gerückt vorstellt (Anbiederung Alfonsos aus einem beschränkten Fundus typischer Gesten, analog zu dem Ferrandos), kann sie die tatsächlich integrativen Kräfte des Stücks freisetzen. Sie liegen nicht beim "Individuum".





I/5




No.8: Coro

legt dem Komponisten Klangmalerisches nach barocker Manier vor; Kriegslärm, hübsch gestaffelt; erst, womit es angeht, Pfeifen und Trompeten, dann, Ernstfall, Flinten und Kanonen - ausgerichtet in einem Crescendo der Zeilenlänge mit "accresce" als musikalisch denkender Vokabel in der längsten. Die Umstandslosigkeit, mit der die Musik in die Niederungen bloßer Malerei gebeten wird, der Spaß, den sie dabei zu haben scheint, lassen mehr an Vorstadtspektakel als an Hofoper denken. Eine Farce, eine aberwitzige Fälschung, jeder weiß sofort: es sind die Soldaten Alfonsos, falsche und mit falschem Text. "Heute viel, morgen wenig". Die dramaturgische Forderung, das Publikum die Fälschung merken zu lassen, verschafft den Autoren die Lizenz zu einem antimilitaristischen Schmiss ohnegleichen. Eine lebendige Inszenierung kann hier nicht übertreiben. Maestoso lautet Mozarts Vorschrift, der Marsch sollte mit dem getragenen Pomp daherkommen, der ihm gebührt. Die Bomben sollen wirklich krachen, so erschreckend, daß jeder doch begreift, was gespielt wird.
Der Spaß war den Autoren eine Wiederholung wert. Gleich nach den herzergreifenden Addios lassen sie den Pomp noch einmal los, jetzt kündigt er die Trennung nicht länger an: er schneidet. Die Idee mancher Toningenieure, hier analog zu Mozarts Auftrittspiano den Abgang zu simulieren, strapaziert die bloße Formalität einer Klammer von Volkes Auftritt und Abgang. Nirgends sonst in "Così" brauchen die Autoren das Mittel der wörtlichen Wiederholung, eine Szene zu runden, es ist traditionell an Massenauftritte geknüpft und selber etwas plump; seine Verwendung hier ist das genaue Gegenteil einer bloßen Formsache.




I/6




Rezitativ und Nr. 10 Terzettino

Denn wenn das Volk wieder abmarschiert, trollt es sich nicht zu Klängen, die wir schon einmal gehört haben. Sondern es bricht nach dem "herben Abschiedsgeseufze ... in den höchsten Wolken menschlicher Ausdrucksfähigkeit" (Henscheid) auf dem kürzesten Weg von F nach D, einem A7-Akkord ohne Extravaganz aber plötzlich, der martialische Schmiss wieder los, maestoso, forte, gravitätisch und grotesk: die Offiziere besteigen das Boot.
Intrige hin, Intrige her, das ist ihre Welt, und wie vollkommen sie darin aufgehen, lehrt die schlichte Frage Dorabellas: Wo sind sie? Diese ersten zwei Zeilen des Rezitativs, "Dove son? / Son partiti" zähle ich zu den Wundern. Klare Sicht, milder Wind, dem Boot hinterher diese Frage der praktischen Schwester, als sähe sie das nicht selbst. Und Alfonsos Antwort, lapidar und grob - Fiordiligi erwehrt sich ihrer noch mit einem Gefühlsausbruch -, trifft den Nerv der Frage Dorabellas, das reine Verneinen. Die bringt aus eigener Kraft nichts mehr hervor, es ist kaum sie selbst, die da auf die Impulse Fiordiligis stets bloß reagiert; einmal die stumpfe Wiederholung des "buon viaggio", die das entscheidende "mia vita" schon versickern lässt, beim 2. Mal eine Phrase abgespult, die vor lauter Leere schon zweideutig ist. Die realistische Dorabella fällt, wo es nichts mehr zu realisieren gibt, in ein Sprechen, das die vornehmere Abwesenheit der Schwester bezeichnet: Fiordiligis langwelligerem Temperament sind die realistischere Diktion, Boot und glückliche Fahrt zugeordnet.
Beinahe jeder Satz des Rezitativs eröffnete es plausibler als der erste. Etwa in der Mitte sagt Fiordiligi: Oh Gott, wie rasch fährt dieses Boot...: lässt sich ein stimmigerer Übergang denken? Je weiter wir von hier wieder hoch an den Anfang rücken, desto mehr entfernen wir uns - erstaunlicherweise - von glatter Stimmigkeit, und das handwerklich Naheliegende, das schöne Bild des davonseegelnden Bootes, weicht, schrittweise rückwärts, der Negativität der ersten beiden Zeilen ("Wo sind sie? Sie sind fort."), die sich als passender Anschluss zur Marschszene erst verstehen, wenn wir alles mediteran-Gemütliche, buntes Volk und bunte Kostüme abziehen, bis endlich Schmiss und Pomp allein übrigbleiben. Zurück in der normalen Leserichtung verstehen wir die Aufgabe des Rezitativs und ihre Lösung. Es führt von der höhnisch-kalten Marschnummer zu einer der offensten des ganzen Stückes, dem Wind- und Wellen-Terzett. Kein anderes Rezitativ hat eine ähnlich schwierige Strecke. Also lässt es das martialische Klimbim im leeren Raum der leeren Frage Dorabellas verfliegen und verwandelt die Zeichen des Verlustes unmerklich in Gesten des Gefühls: was als glatter Anschluss banal wäre, wird in der Versetzung durch die ersten Zeilen zu etwas Köstlichem: aus ihrer starren Unsichtbarkeit heraus winken gar die Herren, fern und verloren das Boot und doch, im Entschwinden, heimlicher Fluchtpunkt eines von Verlangen erfüllten Raumes. Aus der Negativität der ersten Zeilen steigt ein Bogen, der erst im letzten (und musikalisch-zentralen) Wort des Terzetts, im Zauberwort der Verwandlung, wieder landet. DESIR, das die Lüfte zittern und die Musik spielen macht.
Kunze sieht in da Pontes Text den "Wunsch der Zurückbleibenden für eine ruhige, heitere Überfahrt" ausgesprochen, es stehen "die Zurückgebliebenen in sich versunken da, verbunden durch die Gedanken, mit denen sie die Abgefahrenen begleiten". Er will am Beispiel des Terzetts vorführen, daß "die Analyse (...) die Werkeinheit und den Sinn in der musikalischen Konstruktion aufzusuchen" hat, und daß "in Wirklichkeit (...) das musikalische, instrumental konzipierte Sinngefüge" es ist, "das sein Licht zurückwirft auch auf Form und Aussage des Textes".
Stefan Kunze setzt den Sinn des Textes als unmittelbar einsichtig voraus. Wer in der Alchimistenküche der Musikologie den gegen verbale Prozeduren schrecklich gleichgültigen musikalischen Sinn gewinnen will, mag übersehen, daß auch der Sinn bloßen Textes nicht auf der flachen Hand liegen muß. Kunzes schöne Beobachtung am Text läßt seine allgemeine Meinung von dessen Sinn wie dem des ganzen Terzettinos unberührt. "In da Pontes Versen werden keine Affekte angesprochen. Die Dinge selbst kommen vielmehr zur Sprache, indem sie genannt werden.". [ Kunze 1973/4] Das trifft genau den Zauberspruchstil des Terzettinos; und ist wirklich schon die halbe Lösung.
Seine Analyse der musikalischen Struktur ist präzise nur, solange sie sich in der objektiven Nomenklatur bewegt. Das Fachidiom der Musikologie ist ziemlich scheußlich, dazu die stete Furcht vor der Tautologie: niemand empfindet das deutlicher als Musikologen, die sinnstiftende Zutaten beigeben, deren Fragwürdigkeit die Evidenz des Sinnlichen vorschützt. So hat die Sechzehntelbewegung der sordinierten Violinen "etwas Umstrickendes", und die neuerliche Öffnung zur Dominante führt "Versunkenheit, gänzliche Gelöstheit und Stillstand" herbei. Diese Attributivität allen Sprechens über Musik ist unvermeidlich, aber in Kunzes Aufsatz wird diese alte Not zur wahren Alchimie des musikalischen Sinns. Denn jeder Bewegung der Musik kommt just der Sinn zu, den Kunze noch vor der Analyse pauschal als den des Textes ausgemacht hat. Nur daß die Musik diesen erst realisieren und ihre Autonomie spätestens da erweisen soll, wo ihre Struktur die Analogie zum Textbau verläßt. So setzt Kunze seine Analyse überlieferten Voreingenommenheiten aus, da leider diese es sind, die als musikalisch zwingender Sinn ausgegeben werden.
Im Text ist nicht "der Wunsch der Zurückbleibenden für eine ruhige, heitere Überfahrt" ausgesprochen. Das geschieht mit Klarheit im Rezitativ vorher, durch Fiordiligis "Deh faccia il cielo ch'abbia prospero corso". Der Sinn des Terzettinos ist ein anderer. Folgen wir der Bewegung durch die ganze Szene, aus dem Marschlärm heraus zur Beseelung des Raumes, zum Zauberwort selber: desir, müssen wir uns fragen, warum da Ponte, Rezitativ und Terzett zusammengenommen, über das Stadium guter Wünsche beim Abschied hinausgeht und an den Schluss einen 5-Zeiler stellt, der das Zeug zum Zauberspruch hat: Die Imperative an die Elemente, die zwingende Gleichförmigkeit des Rhythmus, der flüssige Sog zum wundertätig-bannenden letzten Wort: finstere Beschwörungsformel, gewendet ins heiter Mediterane und Zivilisierte: weiße Magie.
Schon jetzt, und ohne uns dabei aufzuhalten, wozu da Ponte den Ausdruck passiver Hoffnung auf schön Wetter ersetzt durch die aktive Beschwörung der Elemente, läßt sich mit erstaunlicher Plausibilität behaupten, Mozarts Komposition bemühe sich angelegentlich um die Realisierung dieses Aspekts der Vorlage. Wäre nicht die Bläser-colla-parte-Passage vor Takt 22, der Kunze Versunkenheit und gänzliche Gelöstheit abliest, eine Phase äußerster Konzentration? Klingt nicht, was durch diese Passage zur Erscheinung treibt, der verhexte, "janusköpfige" Akkord im Zauberwort selber, "desir", mit der simpelsten Anschaulichkeit nach Dämonie?

Zum Abspielen dieses Klangschnipsels (nicht wichtig) brauchen Sie den Macromedia Flash player.

Der arithmetisch zentrale Moment des Terzettinos ist genau der jeder Beschwörung, wo die Geister endlich mit den Rufenden sich mischen. Kunze lapidar: "Der im Text ausgesprochene Wunsch hat seine musikalisch strukturelle Erfüllung gefunden. Sie wurde dadurch ins Werk gesetzt, daß im Schlüsseltakt 22 die Abspaltung und Verselbständigung des Kadenzvorganges stattfand." Wir ahnen immerhin, daß Kunze im Was des Wunsches irrt. Und wären nicht unzählige Varianten eines vom Textmuster sich lösenden Kadenzvorganges denkbar, die es alle nicht täten? In bestem Einvernehmen mit da Ponte (dem aus Gründen, auf die wir noch zu sprechen kommen, sehr daran gelegen sein mußte), findet Mozart ein musikalisches Analogon zur "Beschwörung", und vermeidet doch, wieder in genauer Abstimmung mit der Vorlage, die finstere Nacht.
Tatsächlich hatte Mozart ein Paradox zu komponieren. So evident die Beschwörung auch ist: geht denn die See stürmisch, wehen die Winde nicht sanft? Und andererseits: läßt denn "Meeresstille", älteste Metapher der Abgeklärtheit, wohl gut durch einen Zauber sich provozieren, dessen zentrales Wort "Verlangen" heißt? Diesem Spaß fehlt zur drastischen Wirkung nur der Schock, die harte Fügung der Widerstrebenden. Keine Lücke, kein Sprung: die einander Ausschließenden - Meeresstille und Verlangen - verlaufen so gedämpft in ihr komisches Überkreuz, es ist kaum je bemerkt worden.
Verglichen mit der Komik des Marsches, dem einfachen Widerspruch von Glanz und Hundeleben der Soldaten, hat die des Terzettinos die höheren Weihen empfangen. Weder lässt es den Hörer auf der Bahn provozierter Erwartungen komisch stolpern (bella vita militar - oggi molto doman poco), noch soll es in seiner lückenlosen Linearität als bloßer Schein suspekt werden; das Terzettino ist das Beseelungsidyll der gängigen Rezeption. Daß hier wirklich die Elementargeister aus dem Schönklang der Verse zur vollen Musik befreit freundlich sich regen und "der Wellenschlag des Meeres sich verwechselt mit dem Zeitstrom der Seele" (Nagel), daß die konventionelle Abschiedsszene, der nachgewunkene Schönwetterwunsch unversehens an den Triebgrund rührt (als wäre weniger von der Ruhe des Meeres als seiner Tiefe die Rede) und ausgerechnet in der Beschwörung abgeklärter Meeresstille eine Naturseeligkeit sich produziert, die den Verlust der Herren im Boot hinterm Horizont aus eigener Lust schon kompensiert, das verdankt sich nicht Mozarts "Eigenmächtigkeit", es liegt mit philosophischer wie theaterpraktischer Rafinesse auf den Musiker hin kalkuliert in geschickter Abbreviatur im Text beschlossen; kaum wahrscheinlich, daß die Autoren ihr sublimes Gebilde ohne angelegentliche Besprechung ins Werk gesetzt haben. Zumal es der zweideutigen Forderung einer Dramaturgie zu genügen hat, die ihm als dem Schlussglied einer Nummernfolge "Abschied" die Perspektive aufs Kommende, auf Verführungen, Liebesduette, bis hin zum Finale der ganzen Komödie schon abverlangt.
Wäre denn nach den ausführlichen addios des Quintetts, dem harten Schlussschnitt der Marschwiederholung eine weitere Abschiedsnummer, die nichts als eben Trennung und Schmerz bedeutete, gut möglich? Nie ist das Terzettino so verstanden worden. Doch es als "Brennpunkt" der "Verklärung", "die über der Handlung von Così fan tutte liegt" seiner dramaturgischen Funktion entheben, als ginge das Spiel erst nach ihm weiter, das heißt, seine reale Handlung verfehlen und die Szene vom Boot der Offiziere aus betrachten.
Das Kunststück da Pontes, das den eigentümlichen Glanz provoziert, der seit je an Watteau hat denken lassen, besteht vom ersten bis zum letzten Wort der Szene im Verschwinden des Bootes, in einem Spiel mit der Gegenständlichkeit des Verlangens. Die schmerzblinde, rein negative Frage Dorabellas, Fiordiligis Ausbruch, Alfonsos Trost (:er ist es, der den Blick auf die von weitem winkenden - nicht Geliebten, sondern - Verlobten öffnet). Wo Fiordiligi ihrem "buon viaggio" noch ein "mia vita" anhängt, läßt Dorabella es schon fort. Die Verlobten sind im Boot verschwunden, jetzt verschwindet das Boot. "Gia non si vede piu!" Wo Fiordiligi ihm "prospero corso" wünscht, greift Dorabella zum zweideutigen "campo" und, sehr weit weg, zur nicht mehr zweideutigen Vorsehungsfloskel. Wieder ist es Alfonso, der die amanti und amici nahe heran holt, eine Wendung, die dem Leser, der einem unsichtbaren Boot auf glücklicher Fahrt unter fremden Sternen nachhängt, darüber belehrt, wie fern und verloren den Mädchen ihre cari sposi sind. Erst der Verlust der Liebesobjekte, das Verschwinden des Bootes als Fluchtpunkt im Horizont läßt den gerichteten Blick in ein ungerichtetes Verlangen umschlagen, das den ganzen Raum gleichmäßig entzündet; das elementare Verlangen/"desir" des Terzettino geht auf nichts als seine eigene Projektion in den Naturraum der Elemente.
Das ist süße Trauerarbeit, zwar so frivol nicht, daß dem Verlangen flugs neue Objekte gefunden werden, aber wenn bald als "tristo effetto d'un disparato affetto" das Geschirr kracht, wissen wir schon, was davon zu halten ist: reiner Überschwang, der unvermeidliche Lärm Dorabellas theatralischer Höllenfahrt, von der wir nun auch wissen, wann sie angetreten wurde.
Wem der Terminus "Höllenfahrt" auch mit Th.-Mannschem Ambitus nicht behagt - der umfassend bewanderte Abbate quittierte ihn gewiss mit einem Lächeln -, sei an den weltlichen Topos der "Einschiffung" erinnert.
Seit der antike Mythos von der Insel der Glückseligen in dem komplexen (aber alltäglichen) Gewebe einer galanten Mythologie neu aufgegangen war, seit elegante Städter, erhabener Ausschweifung zu frönen, in die vorstädtische Natur zogen und ihre Liebesinsel: Cythera nannten, seit Opernmaskenball und galante Privatfeste freizügige "Einschiffungen" und "Pilgerfahrten" veranstalteten, hatte in mehreren Modewellen die ästhetische Produktion sich so erschöpfend des Gegenstandes angenommen, daß vielleicht noch heute, sicher aber im ausgehenden 18. Jahrhundert keine Komödie der Liebeswirren ein Boot auf die Bühne brächte, ohne sich im Netz der Einschiffung zu bewegen. Als Quelle zu Watteaus Cythera-Bildern untersucht Francois Moureau das (italienische, später stark italienisch geprägte) Pariser Jahrmarkttheater, dessen Umgang mit dem zeitgenössisch-modischen Mythos ausführlicher zitiert sei:

"Fuzelier, der zum gleichen Zeitpunkt an seinem Libretto für `Les Amours dèguisés' für die Opéra arbeitete, zeigte auf der Bühne des Jahrmarktes von Saint Laurent im Frühling 1713 `Les Pelerins de Cythére', mit denen der Zyklus der Einschiffungen (...) begann (...). Das Stück wird auf zwei Registern gespielt: Aufbruch der Verliebten nach Cythera als Generalthema; Vergnügungsreise nach Sain-Cloud als komisches Echo. `Das Theater stellt das Seine-Ufer dar, es ist ein Boot zu sehen, das wie das Segelschiff von Saint-Cloud aussieht (...) Verschiedene Personen wollen Paris verlassen und sich nach Cythera einschiffen, alle sind verkleidet, um nicht erkannt zu werden, die einen von ihren Ehemännern Harlekin und Pierrot, die die Kutschenmeister auf Cythera sind, die anderen von ihren Liebhabern und Geliebten. Kurz, eine verliebte Intrige, die sich auch zur Insel Cythera einschifft.' Diese Pilgerfahrt ist eine Reise ins Land der ehelichen Untreue, der frivolen Launen und Leidenschaften." Eine andere 'Einschiffung', von J.F.Lettellier, gegeben 1714 auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain: "Colmbine und Marinette, die von Pierrot und Mezzetin entführt worden sind, werden nach Cythera gebracht, wo sie Harlekin und Scaramouche, ihre ehemaligen Liebhaber, wiederfinden, die sie im Finale heiraten. Ein verführerisches Couplet wird gesungen: `Ihr, die ihr Ehemänner sucht, / kommt zu uns nach Cythera, / unter unseren Augen und unserem Lachen / werdet ihr finden, was ihr sucht.'"

Nach 1715 verkümmert die Darstellung der Reise nach Cythera, das Muster war bekannt. Schon der Jahrmarkt durchkreuzt den modischen, zwischen ergötzlichem Anderswo und Heimat schillernden Topos Cythera. 75 Jahre vor Così gehört der komische Reflex zum integralen Bestand. Ihn aufzugreifen - und dazu braucht es vorerst nichts als ein Boot für den Abgang der Offiziere - ist da Ponte neben der drastischen Verkehrtheit des Marsches ein weiteres, augenfälliges Mittel, Theater im Theater, Alfonsos Inszenierung als solche herauszuheben.
Denn die "Einschiffung" ist ein theatralisches Unternehmen; der Ausflug wirklicher Galants verwandelte die Natur vor der Stadt zum Theater, die idealisierenden wie obszönen Abbildungen solcher Freuden sind voll von Bauten wie Theaterprospekten.

Wenn Fiordiligi ohnmächtig geworden, Dorabella gestorben ist - "Io manco / Io moro." -, liegt, zu Beginn der 5. Szene, ein Boot am Ufer bereit: die "Einschiffung" steht bevor. Die folgenden Nummern werden unter der steten Präsenz des Zeichens ironisch verschoben. Schreibt man denn Briefe an die Verflossene daheim und bleibt ihr treu, auf Cythera? So schiffen sich die Herren Offiziere unter Marschgedröhn zum Liebesfest ein, launig-heiter ob der eigenen Mordsintrige, welche Auffassung sie ja in der Tat schon ein Stück weit gen Cythera beförderte: waren sie nicht - 3.Terzett - angetreten, eine schöne Serenade, ein Festmahl "in onor di citerea" zu veranstalten? Cythera ist überall, in Maskerade werden sie ankommen: im Vorstadtgarten der Frauen am Meer.
Daß die Herren die Figur der Liebespilgerschaft nur unvollkommen ausfüllen, liegt ganz in der ironischen Ordnung Alfonsos: er schifft sie ein. Diesen komischen Implikationen genügt das Boot auf offener Szene. Daß aber die ironische Ordnung aus der Inszenierung Alfonsos übergreift aufs ganze Stück, ist der dramaturgische Zweck von Rezitativ und Terzettino der 6.Szene. Mit der kompletten Bühne werden die Zurückbleibenden zum zukünftigen Fest "eingeschifft", - nicht mehr in Alfonsos Regie übrigens, denn er ist ("Sarò anch'io de' convitati?") zu gerne unter den Gästen. Das erheiternde Kunststück da Pontes besteht in der Zweiteilung der Einschiffungsszene. Die Präsenz des Bootes macht aus Kriegern komische Pilger, und dann provoziert das Verschwinden, die beständig in Spannung gehaltene Abwesenheit des Bootes einen Lustzauber, wie ihn, das ist schon das halbe Geheimnis seiner "Verklärung", der Chor verliebter Pärchen zu seiner Einschiffung beinahe wörtlich vom Stapel lassen könnte. Erst ein Boot und eine arg entstellte Einschiffung, dann eine perfekte Einschiffung, ohne Boot...





I/7


Alfonso allein vor dem Publikum. Da Ponte erfüllt den Buchstaben und folgt einer Tradition, die den Drahtzieher die Folge der Expositionsszenen beschließen läßt. Aber wie immer macht er die Pflicht zur Kür; die strukturierende Funktion tritt zurück zugunsten eines Portraits.
Nach seiner Hingabe an das Wind- und Wellenterzett, die weder Text noch Musik durch irgendein Zeichen der Enthaltsamkeit bremsen, hat Alfonso es eilig, sich zu distanzieren. Er glaubt Abstand beweisen zu müssen. Nichts läge näher als der Habitus des Pädagogen, wenn er denn einer wäre. Daß er die einmalige Gelegenheit zur Demonstration aufgeklärt-philantropischen Eifers so gar nicht wahrnimmt, hat schon Joachim Herz die Idee eines Alfonso da Ponte - Lehrstücks aufgeben lassen: "Warum verrät er nicht eine Silbe von seinen edlen Absichten?" Hier kämen sie zupaß wie nie und streifen seinen Horizont nicht einmal als passable Lüge.
Der Pädagoge also fällt ihm nicht ein: er kommt uns mit dem Schauspieler: "Non son cattivo comico." Doch so wird Abstand bloß behauptet. Darum sollen wir Alfonso den souveränen Impressario abnehmen. Aber alle Gesten, die den theatralischen Geschickelenker herauskehren, werden vom Stück selbst dementiert; daß er 'unverzüglich zu den Herren eilen muß', verrät er uns allzu bereitwillig um seiner selbst willen, nicht aber, weil nur so eine rapide Verwandlung etwa plausibel würde. Wenn er uns (vor seiner Verhandlung mit Despina, 10.Szene) wissen läßt, sein Plan sei ausgezeichnet und dies Despinas Zimmer - begreifen wir nicht ohnehin im nächsten Moment, daß dies ihr Zimmer ist? -, sollten wir uns hüten, ihn als rechtschaffenes Individuum vor den Fährnissen eines hier und da unbeholfenen, an überholten Techniken klebenden Textes in Schutz zu nehmen. Das Überflüssige solcher Gesten fällt als Pose auf Alfonso zurück. Sie zitieren einen Typus. Da Ponte hat sie (auf die Gefahr hin, für wenig elegant gehalten zu werden) aus einem altmodischen Fundus theatralischer Vehikel gegriffen, ohne die Räder zu montieren. Sie bewegen nichts, sie repräsentieren.
Sie bewegen nicht einmal Alfonso selbst. Mit dem Ende des ersten Abschnitts ("Unverzüglich...") hätte der klassische Drahtzieher seinen klassischen Abgang. Alfonso bleibt. Raisonnnement, Einkehr, der nachdenkliche Gestus, nach Schauspieler/Impressario nun der Philosoph, schwankend zwischen Selbstgespräch und publikumsbewußter Rede. Aber die nachdenkliche Pose ist leer, kein Gedanke fängt sich darin als platte Häme. Da Ponte dreht seine Figur leicht aus der Front zur Rampe, wir können nicht recht verstehen, wen Alfonso gerade meint, seine Mißgunst trifft alle gleich.
Schon den 'Helden der Venus und des Mars' galt nicht überlegener Spott allein als Liebhaber oder Militärs; 'Venus und Mars' setzt einen Sinn dicht daneben frei, einen abschätzigen Neid Alfonsos. Ab "Quante smorfie, quante buffonerie" können wir jeden Satz, den wir prompt oder hypothetisch den Damen zuweisen, ebensogut auf die Herren bezogen verstehen. Der Philosoph lässt die nötige Klarheit vermissen, er führt Nachdenklichkeit vor. Mit "Oh poverini!" zieht da Ponte die leichte Drift noch aus: überraschend für alle, denen bisher kein Zweifel gekommen ist: erst aus dem nächsten Satz scheint klar hervorzugehen, daß er jetzt die (hundert Zecchinen verwettenden) Herren meint. Dies subtil inszenierte Abdriften Alfonsos aus der geraden Anrede hat Methode. Auch dies Rezitativ ist wie viele andere Nummern in einem Dreischritt angelegt.
Zuschauer (und Regisseure) neigen heute dazu, gerade die ersten, offen auf Publikum rechnenden Sätze (des Impressario) für ein (dramatisch fragwürdiges, historisch unvermeidliches) Selbstgespräch zu nehmen, peinlich besonders, wenn wir die Not des Autors zu merken meinen (weshalb sich unsere Voreingenommenheit mit Alfonsos Nachdenklichkeit im 2. Abschnitt und seiner Weisheit am Schluss des Rezitativs wieder legt). Wendungen wie "Unverzüglich muß ich zu ihnen eilen" sind sinnlos geworden. Die Stelle zeigt, daß da Ponte selbst an der Verschiebung der Rezeptionsmuster arbeitet und nicht ganz unschuldig am Mißverständnis ist. Sie reizte uns als überflüssig und altertümlich, selbst wenn sie noch dramaturgisch funktional wäre. Der moderne (kinogeprägte) Vorbehalt reagiert empfindlich auf alle vage ähnliche Stellen (läßt die einen sie überspringen, die anderen sie sentimental goutieren) und hindert uns, hier die Nuance wahrzunehmen: der typischen (handlungstreibenden) Geste sind die Konsequenzen gekürzt (:Alfonso wird keineswegs unverzüglich abgehen und bis zum Auftritt der verkleideten Herren ist reichlich Zeit). Das Merkmal des Typus ist selbstbezüglich, charakteristisch geworden, Alfonso nicht länger Drahtzieher einer Typenkomödie, sondern schon Charakter, konturiert aber durch Versatzstücke des Typischen (und nicht durch Symptome persönlicher Geschichte).


Tatsächlich findet im Rezitativ Alfonsos nicht eine Bewegung auf das Publikum zu (aus dem heute leicht peinlichen Impressario-Sermon zum "prächtigen Sinnspruch") sondern eine von ihm fort statt: der Anfang redet das Publikum an, die Mitte verliert es halb, der Schluss ganz aus dem Sinn. Paradoxe Situation in unseren Theatern: der accompagnato- Schluss, obwohl er als Botschaft Alfonsos frontal inszeniert wird, geht vergleichsweise glimpflich ab (unser Vorbehalt ist besänftigt), weil die Botschaft erstens nicht dramaturgisch ist und uns zweitens eh nicht mehr erreicht. Das läge nicht allzuweit von da Ponte Absicht; wäre nicht unsere Unempfindlichkeit gegen Rampenbotschaften überall dieselbe.


"Nel mare solca e nell´arena semina
E il vago vento spera in rete accogliere
Chi fonda sue speranze in cor di femina."


Das Meer pflügt und im Sande sät
Und den unsteten Wind im Netz zu fangen hofft
Wer seine Hoffung in das Herz einer Frau setzt.




Es ist schön, daß die Unstimmigkeiten, ob die (nur im ersten Libretto gedruckten) Anführungszeichen zu Recht bestehen, inzwischen zweifelsfrei ausgeräumt sind. Alfonso zitiert, und recht Entlegenes dazu, einen Schäferroman des frühen 16. Jahrhunderts. Das vorherige und früher identifizierte Zitat (Metastasios Phoenix) im 2.Duett erinnert uns daran, daß Alfonso zum Zitieren keine Häkchen bräuchte, auch für dies Schlusswort nicht. Leider hat die Gewissheit des Zitats nicht verhindert, daß der Habitus des Zitierens weiter verdrängt wird, als habe der uns nichts zu sagen.

Das Zitat dreht ihm sein Wort im Mund herum. Versuchen Sie, Ihrer bittersten (und teuersten) Überzeugung mit erhobener Stimme durch ein Zitat Geltung zu verschaffen. Wählen sie kein allzu lakonisches, sondern eines, das sich in redundanten Metaphern gefällt und dem unbedarftesten Gegenüber als Zitat aufstößt. Ganz recht, Sie werden sich hüten. Nun hat Mozart sich für Alfonsos Schlussspruch besondere Emphase angelegen sein lassen. Wir sprengen keineswegs die Grenzen der Übertragbarkeit Ihres persönlichen Experiments, wenn wir bemerken, daß solch extraordinäre Emphase auch im Falle Alfonsos einer dichterisch-breiten Maxime schlecht bekommt. Hätte er selbst uns nicht eben erst über das Ausmaß seiner Mißgunst ins Bild gesetzt und dürften wir nicht hoffen, noch manches Üble daraus hervorgehen zu sehen, er wäre komisch. Und genau das fürchtet Alfonso am meisten: das Meer pflügen, im Sand säen, den Wind im Netz zu fangen suchen sind nicht Metaphern der Vergeblichkeit allein. Wer seine Hoffnungen auf das Herz der Frauen baut, ist ein Narr; ein genießerisch-vernichtendes Urteil: 3 mal lächerlich, wer liebt. Sollen die anderen sich lächerlich machen, er, der Philosoph, zieht an den Drähten, kein peinlicherer Verstoß gegen das eigene Gesetz, keine beleidigendere Unterstellung denkbar, als die, er selbst sei eine komische Figur der eigenen Komödie.
Was uns an den Anfang seiner Szene zurückführt, seine (unbegründete und eben darum dekouvrierende) Sorge, wir möchten ihn im Terzett mit den Frauen allzu selig gefunden haben. Das Gehabe des Impressario, das scheelsüchtige Herabsetzen der anderen, die Emphase des Schlusszitats sagen dreimal dasselbe. Und in Folge führen sie vor: den Striptease des Philosophen. Diesmal enthüllt er nicht genußvoll wie in der ersten Szene mit den Frauen seine selbstgebrütete Unglücksbotschaft, diesmal geht es ihm an die Wäsche, seine Posen (Impressario, Raisonneur) vertreiben ihn aus der Kommunikation, mit dem Zitat steht er geschnürt und gezwängt da, große Geste im Korsett, ohne "Hoffnung auf das Herz der Frauen".
Alfonso allein: der Kommunikator wird zur Statue. Vom lebendigen Gesetz (seinen Asymmetrien, variativen Wiederholungen) zum toten Buchstaben (seinen Identitäten, Generalisierungen): die zart komische, funkensprühende Verschränkung von Meersstille und Verlangen im Terzett ist umgeschlagen in die destruktive von Emphase und Doktrin.

Die Emphase des Mozartschen Accompagnato kann nicht übertrieben werden. Wir wollen die "Elemente" rasen hören, und statt gedämpften Parlandos (etwa O-Ton Alfonso oder, noch schlimmer, O-Ton da Ponte) die Wut des Zitats.




I/8


Despinas Auftritt. Ernst Lert nannte ihn einen alten "Mimuswitz mit der genäschigen Soubrette" und will die Szene streichen, so abgeschmackt und aufgewärmt kam sie ihn an. Ein Mißverständnis, denn was würde ein naiver Blick aufs Leidlich-Originelle nicht alles streichen müssen, was bliebe übrig!
Despinas tritt tatsächlich mit einem alten Hut auf. Keiner anderen Figur im Stück sind die Grenzen so scharf gezogen, in Text und Musik. Kunzes Vergleich mit anderen Dienstbotinnen der Mozartbühne trifft zu, Zerlina und Susanna hätten "zwar manches vom Potential dieses zentralen Typus mitbekommen", aber "gewissermaßen ungemischt" hätten da Ponte und Mozart die Rolle hier aufgenommen. [ Kunze S. 454]
Wovon frei ist die Realisation des Typus im Falle Despinas, oder anders, welche Beimischung erfährt er an Zerlina und Susanna? Es sind die individualisierenden Momente, die den Typus zur "Person" hin anreichern, Nuancen "persönlicher" Eigenheit, die, in die Typenbuffa integriert, bis heute den dramatischen Ruhm Mozarts ausmachen. Nach "Figaro" und "Don Giovanni" jedenfalls bringt "Così" mit Despina den Typus in einer Reinheit, die es aussichtslos macht, sie umstandslos in die Welt der Mozartoper heimzuholen.

Eine ungeklärte Verstrahlung hat von "Figaro" bis "Così" (und weiter zum "Titus" ...) nach und nach alle Mitglieder der Truppe dahingerafft, eine heimtückische dazu, denn ihre Symptome ähneln einer einfachen Regression ins Praeindividuell-Typische. Nicht eine simulative Mitbürgerlichkeit haucht ihnen mehr Leben ein, sie scheinen es wieder, ganz Präsenz, aus sich selbst zu erzeugen. In "Così" strahlt niemand so arg wie Despina, und die Bemühungen einer mit dieser Erscheinung hadernden Rezeption, ein Minimum an Individualität wenigstens aus Mozarts Musik heraus den Protagonisten anzutragen, müssen vor Despina scheitern.
Ihre abstrakte Identität mit einem "Typus" läßt die Kritik nur schwer ihrer dramturgischen Energie Rechnung tragen, die man lieber einer Person mit individueller Motivation zurechnete. So wird Despina mit Eigenschaften ausgestattet, die auch ihr den Schein des Persönlichen leihen. Dazu muß am Ende noch herhalten, was zuvor ihren Typus definieren half.
Viele Inszenierungen besetzen die Rolle mit einer deutlich älteren, "erfahrenen" Sängerin. Bei Kunze wird aus Despina, "der klaren und festen Grösse in dem dramatischen Experiment" gleichzeitig eine, die "in der Verwandlung ihr wahres Sein besitzt". [ Kunze S. 454/6] Alles ist recht, solange sie nur überhaupt ein "wahres Sein" vorzuweisen hat.
Um das aber ist es schlecht bestellt, trotz Despinas Energie und Präsenz. Auch der Begriff "Typus" kann täuschen: Wo er auf die Transparenz einer gegenwärtigen Figur für ein überliefertes Muster deutet, und dann - wie hier - ein offenes Feld von Möglichkeiten zu individuellen Attributen der Figur, in welchem er sich erst realisierte, ganz fehlt, zielt die vermittelnde Bewegung im Begriff heimlich darauf ab, das Irritierende der Anlage Despinas auf eine leidliche Grösse zurückzuschrauben.
Demselben Bedürfnis dient auch der Versuch, Despina mit Mythos zu befrachten. Die Lücke, die die Präsenz eines Typus ohne Vermittlung reißt, bleibt spürbar, ein Anklang an Mythisches soll sie überbrücken helfen: "... dann mag Despina, mythologisch gesprochen, Cupido und Amor in einem sein." [ Kunze S. 457] : es geht nicht ernstlich darum, eine legitime These zu diskutieren. Despina soll verdächtigt werden, doch noch einen Hintergrund, eine "Geschichte" mitzubringen, - und wenn es denn bis auf göttliche Fernen geht, weiß das (lesende) Publikum sich Beine zu machen und die Lücken zu überspringen, denn an solchen Verdacht ist es gewöhnt.
Despina ist wie ein Zitat, dem die Lektoren die Anführungsstriche kürzen wollen; sie unterstellen, daß der Charakter des Zitats in den Inhalten allein deutlich genug, und das heißt: gemildert, wiederkehrt - als "Typus", und gewinnen, was ihnen angesichts der Präsenz des Phänomens so sehr fehlt: eine halbwegs persönliche Person.

Dasselbe gilt grundsätzlich für alle Figuren des Stückes; rein graduelle Unterschiede markieren ein deutliches Gefälle von Präsenz und Komik. Das erklärt so vieler Autoren Leidenschaft für Fiordiligi, denn sie am ehesten nährt den Schein des individuellen Plus, in den gehüllt der unabweisbare Verdacht, daß sie das Zeug zur komischsten Figur nach Ferrando hat, erträglicher wird. Es ist erstaunlich boshaft und konnte nicht gefallen: während die fixe Anlage der Figuren ihre außerordentliche Theater-Präsenz garantiert - denn genau das tut sie -, raubt ihnen der Lack individueller Eigenart, je nach Tauchtiefe, die je eigene, "persönliche","Geistes"-Gegenwart. Die "persönlichen" Eigenheiten erfahren eine Beschleunigung, der sie nicht gewachsen sind. Individualität erscheint als komische Deformation, komisch, weil just die souveräne Präsenz des Typischen für ihren Transport sorgt, sie kommt komisch beschädigt über die Rampe.
Die persönliche Eigenart jeder Figur besteht in einem von Situation zu Situation leicht schwankenden, mehr oder weniger glücklichen Verhältnis zur Präsenz des Typus. Despina und Ferrando markieren die Extrempositionen. Despina ist so absolut präsent, souverän, frei von Ablenkungen aus dem Typus, daß sie nie in die Verlegenheit kommt, sich mit ihrer "Person" zu beschäftigen. Ferrando dagegen führt eindringlich vor, was es mit dem hier herrschenden Begriff der Individualität auf sich hat. Während uns nämlich zum Individuum nicht viel mehr als das Weichbild des lyrischen Tenors einfällt, zeichnet sich, nach den Regeln von "Così" hier vorerst das Maximum "individueller" Verirrung ab: der Idiot. Ein vollkommener Idiot freilich erregte zwar einiges Gelächter, das stete Mißverhältnis zwischen seiner "typischen" Präsenz und seiner "individuellen" Abwesenheit wäre per se komisch, aber sein volles Heraustreten aus aller Kommunikation (seine "Individualität") böte keinerlei Gelegenheit zu den unserem Tenor hier abverlangten Verwicklungen; darum schwankt Ferrando und darum stellt eigentlich dieses Schwanken seine "Person" her.
Auch mit Alfonso begegnet uns nicht am Ende doch das Individuum: was immer man in dieser Richtung angeführt findet, begreift der repräsentierende Titel "vecchio filosofo" umstandslos ein. Alfonso raisoniert und zitiert, und seine banalen Maximen neigen zu einer Steifheit, die der lebendigen Erfahrung widerstreitet (und andererseits natürlich ein Gutteil seiner Theaterpräsenz ausmacht). Dasselbe ließe sich von Despina sagen, nur daß Alfonso zitiert und Despina nicht. Was Despinas Souveränität garantiert, ein unerschütterlicher Fluss fix und fertiger, nicht diskutabler Grundsätze, wird komisch, wenn es als Zitat herauskommt. Ganz im Gegensatz zu Despina scheint man einer Vergangenheit Alfonsos rechtens nachzufragen - und da wäre er also doch, der eigene Hintergrund, auf den seit je die ungeniertesten Vermutungen gehen? Vom "Teufel", der wie eine mythisch grundierte Despina funktioniert, die auch außer in die Nähe Amors schon mit dem Leibhaftigen in Verbindung gebracht worden ist); über die "entmythologisierte Gottheit" zum erfahrenen Lebemann, auch einer Art Ex-Don Juan und weiter zur erfahrungsschweren, aufgeklärt-weltklugen Friedfertigkeit in Person - allein die Bandbreite der Vermutungen deutet ein Mißverständnis an, und es ist in allen Fällen dasselbe.
Alfonso hat Vergangenheit -, allerdings, aber wie? Die Präsenz der Figur (vecchio filosofo) läßt nicht zu, daß ein einziger Augenblick dieser Vergangenheit sie rein erfüllt; wann immer Alfonso Gelegenheit hätte, aus den Tiefen lebendiger Erfahrung zu schöpfen, sich en passant als wahrhaftiges Individuum zu empfehlen, etwas verschlägt ihm die persönliche Sprache und hervor kommt -ein Zitat, eine Phrase. Strikt vermeidet da Ponte, eine reale Vergangenheit Alfonsos in die Gegenwart federn zu lassen; er läßt die Präsenz der Figur eine Vergangenheit-an-sich transportieren, eine erstarrte, leere Vergangenheit, eine "Bildung", die vorerst nicht die positive Summe eines Lebens bedeutet, sondern seine Negation. Trotzdem ist Alfonso nicht der Komische Alte älterer Komödien.
Die Präsenz der "Così"-Figuren entspringt nicht mehr der stets bewußten, niemals unterdrückten Gegenwart des individuellen Schauspielers in seiner typischen Rolle. Der Spaß da Pontes, den Künstlernamen seiner Primadonna im Rollenverzeichnis zu verewigen, frischt eben nicht bloß vergangene Jahrmarktsitten auf, sondern führt, im Reflex, gerade die Umkehrung vor: nicht Fiordiligi, sondern die Ferrarese wird präsent, wenn die Schwestern des Stückes als Dame Ferraresi erscheinen. Die Präsenz der Figur (hier spaßeshalber gar die der Sängerin) ist Schrift geworden - lange vor da Ponte. Er hält nur an ihr fest, wo das bürgerliche Theater schon danach strebt, Individuen vorzustellen, deren Wirklichkeit nicht mehr von der des Schauspielers oder vom Sprechen allein sich speist, sondern (u.a.) durch mehr oder weniger geschickt in die Gegenwart des Stückes eingeflochtene Spuren persönlicher Geschichte. Vom Blickwinkel bürgerlichen Theaters her (und das ist der der Mozart-Rezeption) scheint die große Präsenz der "Così"-Figuren wie durch die (unumkehrbare) Transformation dessen gewonnen, was dem "Individuum" so nötig ist, -eben seiner "Vergangenheit" in die Gegenwart des Sprechens.
Die weit auseinanderfallenden Vermutungen zu Alfonso übersehen die Polarität seines Sprechens. In dieser Figur steht dem monologischen Zitieren und Phrasendreschen eine dialogische Geistesgegenwart, dem verkniffenen Alten der brilliante Kommunikator gegenüber (und aus dieser Spannung heraus sind Schlüsse auf seine "Person" legitim). Das kann man nicht in ein kausales Zueinander zwingen. Alfonso der Aufklärer, der hat Maximen, die will er beibiegen. Oder Alfonso der zynische Teufel, dem ist alles ein Hohnlachen, seine Bosheit will er in Bewegung sehen. Alfonso der Grundgütige, der hat Erfahrung und will die anderen davor schützen. Alle diese Modelle unterstellen ein schlichte Übersetzung von Maxime in Aktion. Es kann zum Schutz gegen falsche Erhabenheit nicht schaden, sich von der schwachsinnigsten Erotik-Klammotte das Funktionieren eines "Alfonso" vorführen zu lassen. Da sind Alter und Impotenz per se komisch und ihre kompensatorischen Machenschaften Movens der Handlung. Despinas Replik


Alf.: Ti vo' fare del ben.
Des.: A una fanciulla
Un vecchio come lei non può far nulla.

Alf.: Ich will dir was gutes tun.
Des.: Bei einem Mädchen kann ein
Alter wie Sie gar nichts ausrichten.


läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und meinen Vergleich weniger weit hergeholt erscheinen. Alfonsos "persönliche Geschichte" ist ganz ohne Belang.
Drum hat er auch keine. Man kann der Tendenz, das Libretto mit Hypothesen zu stopfen, nicht genug entgegenhalten. Sie wird im Übrigen durch so vieles in "Così" an den Rand ihres Vermögens getrieben, daß man begreift, wie fundamental das Mißverständnis sein muß. Kaum etwas ist dem Glück dieses Stückes mehr im Weg. Die "Personen" nämlich, die das Stück schließlich entläßt, haben mehr gewonnen, als eine fertige Simulation bürgerlicher Individualität ihnen böte.




I/9


Wer bedauert, daß der sozialkritische Impuls Despinas in Szene 8 nicht so weit strapaziert werden darf, daß das Typische des Auftritts, der alte Hut mit der "genäschigen Soubrette" verlorenginge, kommt schon in Szene 9 auf seine Kosten. Sie betreibt die (befristete) Identifikation des Publikums mit Despina. Daran wäre so nichts bemerkenswertes, wenn da Ponte bloß der Lust des Publikums nachgäbe, in der realistischen Diktion der Zofe die Dinge drastisch beim Namen genannt zu finden. Die Identifikation wird aber gerade nicht über einen (komödientypischen) common sense hergestellt; sie ist eine kleine dramaturgische Falle.
Despinas Erscheinen erst fächert den sozialen Raum auf. Prompt bekommen wir die Mädchen - in der Perspektive Despinas - als zickig aufgeblasene Oberschichtlerinnen zu sehen. Nimmt das Publikum noch gleichgültig hin, daß die Zofe eben klagt, wenn sie Schokolade rühren muß, die andere trinken, kann es doch nicht gutheißen, wenn Dorabella alles hinschmeißt. Die Damen lassen sich dramatisch gehen: Despina ist ihr Publikum. Das Theatralische der Vorstellung liegt nicht allein in ihren gespreizten Phrasen als im Verzögern der klaren Antwort auf Despinas Frage. Sie spielen, inklusive Arie, Alfonsos Verkündigungsnummer nach. Da ist es wortwörtlich dieselbe, nur eben Dorabellas Frage, die nicht zu beantworten Alfonso so lange auskostet, bis Fiordiligi ungehalten wird. Knapp entgeht Alfonso der Lächerlichkeit, weil er schließlich den Damen wie dem Publikum eine wirkliche Neuigkeit auftischt. In der Wiederholung jedoch sind die Schwestern dem Gelächter preisgegeben, dem des Publikums, denn es weiß Bescheid, dem Despinas, denn sie mißt die klägliche Enthüllung an dem rethorischen Aufwand, - ganz wie eben das Publikum. Wer hier mit Despina gelacht hat, muß sich schon sehr auf seine Erhabenheit konzentrieren, um fürderhin die "Grausamkeit des Seelenexperiments" zu strapazieren. Das Lachen mit Despina erschwert es dem Publikum merklich, sich von ihrer "dreisten und fühllosen" Rede rechtzeitig und mit genügender Schärfe zu distanzieren.




Nr. 11 (Eumeniden-) Arie Dorabella

Die neue Perspektive öffnet Tür und Tor zu Dorabellas würklicher Höllenfahrt. Constantin Floros hat in dem Bemühen, einen alten Streit zu schlichten (Ernst oder (Seria-) Parodie) folgende Differenzierung vorgeschlagen:

"Der Text der Eumenidenarie ist meines Erachtens tatsächlich parodistisch gemeint; denn die bloße Tatsache, daß Dorabellas Verlobter abgefahren ist, kann den exorbitanten Schmerzensausbruch in dieser Arie nicht motivieren. Mozarts Vertonung der Arie läßt jedoch kaum etwas Parodistisches erkennen. Es handelt sich um eine typische aria di smanie, an der allenfalls bemerkenswert ist, daß sie in Dur und nicht in einer Molltonart steht. Es scheint somit, als habe Mozart die Situation als ernst aufgefasst."
Das scheint ein Argument für die Verfechter der Zwei-Welten-Lehre, - zu denen Floros nicht gehört. Er treibt seine Untersuchung zur Stilsynthese bei Mozart gerade so weit, daß die vorgeführten Schablonen zerlaufen. Die Stilanalyse ergibt, daß Rückschlüsse auf eine "Meinung" Mozarts gerade nicht aus der Verwendung bestimmter Stilebenen erlaubt sind.

Die Alternative Parodie oder Ernst verfängt jedoch vor da Pontes Text just so wenig wie vor Mozarts Musik. Da Pontes Text ist nicht "parodistisch", solange dieses Attribut über 'Ernst oder Unernst', von was?, entscheiden soll.
Er ist perspektivisch: denn der Blick Despinas, die auf ihre Antwort wartet, ist ihm eingeschrieben. Da Ponte nutzt jede Möglichkeit, die Theatralik Dorabellas zu verdoppeln. Zunächst ist die Anlage der Szene darauf berechnet, dem Publikum für sekundäre Information den Kopf frei zu machen. Wir haben Muße das Wie aufzunehmen, ohne fürchten zu müssen, die Haupthandlung zu verpassen, wir wissen Bescheid. Dann ist der Anfang der Arie um stereotype Bezeichnungen gängiger Arienkataloge gewickelt: aus der Vorgabe "arie di smanie" (Wahnsinnsarie), traditionelle Tempoforderung "allegro agitato" folgt

Smanie implacibile
Che m'agitate

- genau die Sorte Kurzschluss, die unter Kennern mit Talent für das Komische Tränen des Gelächters provoziert haben muss; folgt weiter der Katalog passender Phrasen bis hin zum "suono orribile / De' miei sospir", zum schrecklichen Klang ihrer Seufzer, die gut und gern der Musik hätten vorbehalten bleiben können, ginge nicht das wesentliche Interesse der Autoren auf theatralische Verdopplung, auf die komische Selbsbezichtigung einer aria di smanie, sie sei eine solche durch und durch. Also doch Parodie? Aber sicher, mit Händen zu greifen! Der Streit um diesen Punkt vertauscht Zweck und Mittel. Was als technischer Begriff am Platz ist, steht noch bei Floros für einen (Un-)Sinn ein, der jedes weitere Wort erübrigt.
Tatsächlich sorgt das parodistische Verfahren vor allem für die Perspektive auf ein Geschehen, das, wiewohl selbst erheiternd, in dem allgemeinen Begriff von der "Parodie" da Pontes untergeht. Wo nicht, wird es aus der Musik heraus (und zusammen mit ihr) mißverstanden und mit einigem Pathos verbrämt. So teilt Kunze die Meinung Floros, es handele sich da von Seiten da Pontes wohl um "Parodie", um ungerührt wie folgt fortzufahren:

"Dorabella, die sich von Furien verfolgt sieht, nimmt dabei den Tonfall der Don Alfonso Arie Nr.5 auf. Doch nun ist es Ernst... In den pfeifenden, jagenden Linien der Bläser, in der peitschend durchgehenden Bewegung der Streicher wird der "suono orribile", der Furcht und Schrecken erregende Klang der Unterwelt laut. Dorabella wird vom Wahn ("smania"), von einer Qualvision überfallen. Sie bietet das "esempio misero d'amor funesto": hier wieder Amor, aber der Todbringende. Das von Mozart komponierte unstillbare Leid ("implacibile") bricht über Dorabella herein." [ Kunze S. 522]

Dorabellas Höllenfahrt derart von allen komischen Implikationen gesäubert, zumal als Schluss eines beträchtlichen "Così"-Kapitels vorzustellen, daß zuguterletzt den leichtfertigen Leser der ganze Ernst Mozarts an unvermuteter Stelle noch einmal beschwere, geht nicht an. Wieder wird der "ernsten" Musik ein Sinn unterstellt, der dem mehrfach spiegelnden Text die Richtung weist. Was die Reizhäufung heftiger Attribute (pfeifend, jagend, peitschend) unterschlägt, ist das Typische der aria di smanie. Kunze möchte glauben machen, Mozart simuliere Unmittelbarkeit, dringe durchs Klischee zur "Wahrhaftigkeit" vor, und weil nichts an Mozarts Komposition dieser Idee Vorschub leistet, schiebt er selbst. Mozarts Arie malt mit dezidiert traditionellen Mitteln eine traditionelle Unterwelt. Sollten bei näherem Hinsehen Verschiebungen kenntlich werden, dann solche, die überhaupt nur funktionieren, wenn die durch Zitat gewonnene Distanz bewußt bleibt.
Zwischen den schon erwähnten Zeichen theatralischer Verdopplung zu Anfang und Ende der Arie wird Dorabellas Rede keineswegs gleichgültig. Nur ist sie auch hier komisch verschoben. Denn Dorabellas Stilübung - sie verlangt sich eine korrekte aria di smanie ab - scheint in unzulässiger Weise schon um den kathartischen Effekt der Höllenfahrt zu wissen. Flieht sie denn die unerbittlich erregende Raserei? Aber nein: "Aus dieser Seele entweiche nicht, bis der Schmerz mich tötet", das genaue Gegenteil, sie rührt kräftig drein, bis zum Überkochen heizt sie sich ein. Und glaubt sie sich denn "von Furien verfolgt"? Keineswegs; über die Lippen kommen ihr die Eumeniden, - und da Ponte wenigstens kannte die Klassiker. Den Eumeniden will sie ein trauriges Beispiel sein; Furien / Erinnyen, Eumeniden, sie alle hegen keinerlei Mitgefühl für ihre Opfer. Dorabella gesellt sich ihnen schwesterlich zu, als zu rächende! (Das hat schon Abert bemerkt). Eumeniden aber sind Furien, denen der Wechsel vom Frauenrecht zur Männerherrschaft die Krallen gestutzt hat. Sie werden verehrt, aber um die Exekutive betrogen. Just das Wort, das immer (und zu Recht!) erstes Indiz für "Parodie" war - was hatte ein Mythologem in einer Buffa schon anderes zu bedeuten - beleuchtet Dorabellas Zustand im Innersten, ihre "Raserei", ihre Hilflosigkeit. Bleiben die Schlusszeilen, die ihre Erregung schon aushauchen lassen in Seufzern und, sei es vorerst untertage, ein Weiterleben in Aussicht stellen. Wie genau plaziert da Ponte, Navigator der "Höllenfahrt", das allfällige "morir" nicht am Schluss sondern in der Mitte der Arie. So leuchtet Ivan Nagels Beobachtung vom Glück der Mozartfiguren, sich ohne Rest auszudrücken, schon am Text ein. Die Arie ist der Durchgang; von nun an wartet Dorabella, lebendig begraben, auf den Ruf. Es kann nicht lange dauern, und richtig, das erste "amor", das sie, in ihrer nächsten Szene schon, zu hören bekommt, geht ihr durch und durch, das Leben hat sie wieder, "Numi,che sento!"


Rezitativ

Zum ersten Mal im Stück (und übrigens zum letzten Mal) werden Fiordiligi und Dorabella mit Namen angeredet: von Despina, die die wahnwitzigen Schwestern zu Vernunft ruft. Auch wo von ihnen gesprochen wird, ist der Eigenname selten. Und noch als nüchterne Bezeichnung der konkreten Person wird er abgelenkt von seiner Bedeutung, wie Guglielmos Zerlegung des Namens seiner Braut noch lehrt. Fior- (Blume) di diavolo, statt di ligi (der Unterwürfigkeit). Die Zeiten, wo man den Kindern Märchen von Treue und keuscher Liebe erzählte, mögen vorbei sein, Fiordiligis Name stammt aus dem großen alten Buch. Ein Anachronismus wie Brentanos "Treulieb", Audens "Ann Trulove", harmlos und gewöhnlich nur, solange wir übersehen, daß die Sitte ungebräuchlich verstiegener, dafür bezeichnender Namen in "Così" nicht durchgängig herrscht: den Herren ist mit Ethymologie kaum beizukommen. Dorabella bürdet die Bedeutung ihres Namens keine andere Verpflichtung auf, als leidlich hübsch, und, weniger zwingend, ausreichend bei Kasse zu sein. Despina ist, was ihr Name sie heißt, stachelig, witzig, ohne den Hauch eines Konfliktes. Wenn es je ein Argument für "Così" als "Lehrstück" gegeben hat, dann der Name Fiordiligis und die Notwendigkeit, mit der er, ein Witz, der erzählt sein will, Lügen gestraft wird.
Fiordiligis Name ist Gesetz, Guglielmos wütendes "Fior di diavolo" bringt es zur Sprache, wenn Fiordiligi mit ihm gebrochen zu haben scheint. Nicht zu übersehen ist aber, wie das Gesetz ihres Namens noch den Augenblick des Bruches beherrscht, wenn sie endlich ihrem Wunsch sich ergibt mit den Worten "Fa' di me quel che ti par", mach mit mir, was du willst. Gäbe es neben dem Vergißmeinnicht, italienisch: nontiscordadimé, ein Blümchen Mach-mit-mir-was-du-willst, es müßte Fiordiligi heißen, so hübsch wiederholt der Satz lustvoller Unterwerfung ihren Namen.
Da Ponte wählt nicht einen einheitlichen Set bedeutender oder nichtsagender Namen, sondern die Verknüpfung verschiedener Sorten. Das Gefüge der Namen verändert den Sinn des einzelnen. Den zeitgenössisch zufälligen der Herren stehen die sprechenden der Frauen gegenüber wie das Kaffeehaus dem Garten am Meer. Erst die Verkleidung legt den Herren selber sprechende Namen bei, aber die Ironie will, daß ihre Namen, wo sie etwas bedeuten, nur aussprechen, was im ersten Gefüge, als Kehrseite der Freiheit vom Mythos, verborgen war: sie heißen Tizio und Sempronio, Hinz und Kunz. Wie wenig das als Spitze gegen das blinde Wüten der Mädchen allein aufzufassen ist, lehren die Umstände der Taufe. Wenn wir den Ballast der korrigierenden Wahrscheinlichkeitsinterpolationen fahren lassen, wird klar, welche Komik darin läge, wenn der Notar diese Namen improvisierte: Despina aber teilt in alle Richtungen aus. Ihre vergnügliche Gleichgültigkeit gegen individuelle Eigenheiten bei Männern (:diese haben auch, was jene haben) verspottet die neue Liebe der padrone so gut wie deren unwahrscheinliche Gegenstände ("Che figure! Che mustacchi! / Vero antidoto d'amor"). Männer sind ihr Hinz und Kunz, so sehr, daß sie bei allem Witz die Intrige so wenig durchschaut wie die Damen. Das ist eine Gemeinsamkeit, die schwerer wiegt, als man angenommen hat. Denn mit Rücksicht auf kommende Ereignisse läßt sich kaum leugnen, daß die Damen Despinas Blick in Wahrheit teilen, nur wissen sie es nicht, die Sicht ist ihnen verstellt von Konventionen, die ihrer Zofe aus dem Weg geräumt sind.
Die Ähnlichkeit des Blickes der Frauen auf die Männer führt schon das Rezitativ zwischen den Arien der 9.Szene vor. Fiordiligis Empörung in Ehren - aber wie wenig selbstlos! Wie schnell ist, was als brave Wut einer an den Verlobten denkenden Braut durchgeht, besänftigt und in eine Floskel gewendet, die sich an den eigenen Verlust klammert, nur weil ihr seine relative Geringfügigkeit (Vi restan tutti gli altri) vorgestellt wird. Daß der mögliche Tod der Offiziere etwas anderes als einen herben Verlust für die Frauen bedeuten könnte, streift deren Gesichtsfeld so wenig, daß die Reden Despinas


Per un uomo morir! Altri ve n'hanno
Che compensano il danno.

[Wegen eines Mannes sterben! Es gibt andere,
die uns den Schaden ersetzen.]


weniger provozieren, als es scheint. Von der unschuldig ahnungsvollen Verdrehung Dorabellas, ihrer beinahe interessierten Frage, ob Despina glaube, daß einen anderen lieben könne, wer zum Liebhaber einen Guglielmo, den zuerst, oder einen Ferrando hatte, ist Fiordiligi, auch wenn Despinas Aufforderung zum Amusement sie noch pikiert, nicht gar so weit entfernt; gerade weit genug, um dem 2.Akt ein Nacheinander der Liebesduette zu sichern.



Nr. 12 Arie Despina

"Despina, weit vom Kammerkätzchen mit silberhellem, schelmischen Lachen entfernt, nicht 'schnippisch' oder 'schelmisch', ist ein mit allen Wassern gewaschenes Frauenzimmer, realistisch disponiert bis zum Rand des Vulgären lapidar, mit eigenen Ansichten, nicht nur, was ihre Einstellung zum anderen Geschlecht betrifft, sondern auch über die Ungerechtigkeit der herrschenden sozialen Struktur, der sie freilich nur durch Naschen entgegenwirkt."

Soweit Hildesheimer - und das ist, auch wenn er glauben mag, diesen zu korrigieren, Tenor der Rezeption. Da ist kein Unterschied: "Frauenzimmer", gerade ein "mit allen Wassern gewaschenes" geht eben auch als Substitut fürs leidige Kammerkätzchen in Ordnung und tilgt die Distanz, die seine Emphase suggeriert. Die Verwandlung des Kammerkätzchens zum Haustiger diskreditiert die wahre Despina nicht bloß mit dem Nachsatz vom Naschen, sondern weit nachhaltiger mit der unverändert traditionellen Funktion der neuen Lesart. Sie rückt, wie gehabt, Despina aus dem Buffoschema, fort vom Typus hin zur Person "mit eigenen Ansichten". Weil aber nicht bloß das schelmische Kammerkätzchen, wie Hildesheimer unterstellt, sondern eben auch das Frauenzimmer dem Klischee völlig gerecht wird, kommt mehr ein Persönchen dabei heraus, der bloße Schein individueller Prägung, gerade genug, die Brisanz des Typenzitats, sein hartes Licht zu dämpfen.
Und wie hart es ist! Die einzigartige Unversöhnlichkeit Despinas mit persönlicher Eigenart zu verwechseln, bedeutet, just diese Einzigartigkeit zu bremsen; was passiert denn in Produktionen, die in fatal gutgemeinter Absicht Despinas Part mit einer ältlichen Stimme besetzen und alles tun, ihr ein bewegtes Leben, Erfahrung, Einsicht, Reife, kurz, eine persönliche Geschichte aufzuhalsen? Wir begreifen, daß es zu "Verbitterung" gekommen ist, - und sind versöhnt. Hildesheimer:
"In dieser Figur suchte man nicht nach Subversion, ihre Anlage würde der Zensur Josephs II. und seiner Kulturwächter entgehen, das wußte da Ponte. Hier war er frei, seine gesellschaftlichen Ansichten zu ventilieren. Er hat es getan und niemand nahm es zur Kenntnis." Hildesheimer S. 299
Hildesheimer scheint der Ansicht zu sein, beim Zofentypus handele es sich seit alters ums niedliche Kammerkätzchen, während doch, was ein kaiserlicher Kulturwächter sein wollte, sich beeilt haben wird, gerade die Diener und Zofen neuer Stücke zu inspizieren. Neu an Despina ist nun wirklich nicht ein subversives Potential, sondern daß der Versöhnung dieses Potentials mit dem Großen-Ganzen gekündigt ist. Und diese Anlage entgeht den Zensoren nach wie vor. Wieder bedeutet, das subversive Potential der Dienstbotin entdecken, es unterschlagen. Ja wenn wirklich da Ponte "seine gesellschaftlichen Ansichten" in einigen Keckheiten Despinas "ventiliert" hätte, die Zensur wäre fündig geworden und Despina zur (ohnmächtigen) Politheroine.

Ihre erste Arie weist mit vernichtendem Charme Alfonso zurecht. Als hätte sie's mit angehört, läßt da Ponte sie Alfonsos Dichterwort ("Nel mare solca...", Szene 7) umkrempeln; die Hoffnung bleibt lächerlich, der Wind unstet, aber die Konsequenzen schlagen Alfonsos prekärem Degout ins Gesicht. "Amiam per comodo, / per vanita!" Sage niemand, sie beweise, wie recht Alfonso habe. Eine Inszenierung, die in Alfonsos Szene (7) die Befangenheit des Richters unterschlägt, wird der brillianten Verteidigung kaum gerecht. Wie blaß ist des Philosophen Gepolter gegen die wahre Rethorik Despinas. Verteidigung fällt ihr nicht ein und mit der bloßen Retourkutsche ist noch kein Halten, Despina will Taten sehen. Und handelt. Sie fängt - bei unverändertem Befund (Lug und Trug des anderen Geschlechts) - genau da an, wo Alfonso (was ihn selbst betrifft) aufhört. Gleich doppelt hat das Stück ihr die Regie übertragen, bevor noch Alfonso sie engagiert. Szene7, Alfonsos heikles Solo, endet mit einem groben Kurzschluss: Meeresstille und Verlangen, Lust und Verzicht (deren Spannung ohne Abfuhr das Terzett zum knistern gebracht hat) schlagen zusammen zur lustvollen Emphase der vernichtenden Doktrin, des Philosophen letztes Wort. Grelle Blöße, es kracht, Vorhang, Dunkel. Wenn der Vorhang sich wieder öffnet, steht Despina da wie im Zaubertheater. Und ihr erstes Statement zur Sache, ihre Arie, schaltet mit leichter Hand dieselben Kontakte; siehe da, es leuchtet: ihr illusionsloser Blick schärft die Lust zur unbedingt eigenen. Weil aber Cosi kein Fantasymärchen ist, schließt Despinas Schaltung nicht unmittelbar an Alfonsos Kurzschluss an und eine ausführliche Szene wird den szenischen Wechsel (Sz.7/8) rational wiederholen: Alfonso verhandelt mit der Zofe. Die Intrige wird ihr ein Extraspaß sein, kein Ersatzgelächter.





I/10


So auffällig sich Despinas Arie auf Alfonsos Solo (I/7) bezog, so wenig scheint Alfonso Despina "gehört" zu haben. Seine ersten Zeilen ("Welche Stille...!") schaffen einen leeren Raum, der den Nachhall der letzten Szene tilgt. Der mysteriöse Rapport war eingleisig. Alfonso sieht, was er sehen will. Selbstgefällig und verächtlich, Tröster der gebrochenen Herzen. Er genießt das. Wir erfahren außerdem, daß die Offiziere sich unterdessen verkleiden, eine echte Information des Impressario, entstellt von dem aufdringlichen Zusatz: wie er es ihnen befohlen hat. Die Damen trösten, die Herren kommandieren (noch im Finale heißt es von den Herren: die jetzt tun, was ich will): er genießt's beinahe überschwänglich, umarmt sein Publikum: "Laßt uns überlegen, was man tun kann", und präsentiert endlich, ganz Lebemann und Erfahrung, unter allerlei Schnörkeln den naheliegenden, von ihm selbst als brilliant bezeichneten Plan, die Zofe zu bestechen.
Dann läuft sein lustiges Schiffchen unbemerkt auf Grund.
"La sua camera è questa."
Diese Phrase ist der Inbegriff des Dramaturgisch-Überlebten, ein Moment vergangener Theatertechnik, das nicht den Autor einholt, sondern dessen Figur. Einen Augenblick später wird Alfonso anklopfen und rufen: "Despinetta!" Die Verdopplung ist da Ponte (und Mozart) nicht aus Routine unterlaufen. Wer am blanken Dastehen der Formel ("Dies ist...") den Stand der Technik ablesen will, verpasst die Verschiebung. Das heikle Geschwätz Alfonsos kommt zu sich selbst, wenn es jeder dramaturgischen Not entbehrt, es wird buchstäblich überflüssig, im Moment, da er sich anschickt, Despina zu engagieren.


Des.:"E sopra tutto, hanno una buona borsa I vostri concorrenti?
Per me questa mi preme."
Des.: Und vor allem, haben ihre Bewerber
genug Geld?
Für mich zählt das am meisten.


Die letzte Zeile hat Mozart erst gestrichen, dann doch komponiert, ohne jedoch auch den Text im Autograph nachzutragen (schon für die Noten war kaum Platz) .
Heute fehlt beides, der Verlust ist nicht tragisch. Was läßt die Autoren schwanken? Ein mögliches Mißverständnis. Daß Despina wiederholt, welchen Wert sie auf Geld legt, könnte einen Kontrast zu den Herrinnen über Gebühr betonen. Über Geld spricht man nicht; wenn der Notar den Heiratsvertrag unterbreitet, winkt man bei Mitgift und Morgengabe ungeduldig ab. Wenn Despina die Verdienste ihrer Protégees aufzählt (II,1), dürfen Reichtum und Großzügigkeit freilich nicht fehlen. Ein kostbares Geschenk tut seine Wirkung. Ferrandos "aura amorosa"- Arie ist schon darum komisch, weil sie den Bogen überspannt, jeder weiß, die Liebe macht nicht satt. Ein Publikum das selber von Geld nicht reden noch hören mag, findet nichts Komisches daran.
Wie in der Comedia dell'arte ist die Idealität (des ersten Liebespaares) nichts als die Abwesenheit der Rede vom Geld. Dieses Verschweigen wird sichtbar durch die Rationalität der anderen (zweites Paar, Intriganten, Diener etc.). Fiordiligi und Ferrando sind ideal, Guglielmo denkt immerhin ans Essen, Dorabella hat gegen ein Symbol der Liebe nichts einzuwenden, wenn es teuer ist, Alfonso und Despina machen die Rechnung. Alfonso gefällt sich darin, seine Verhandlung mit Despina haarscharf an der zwischen Freier und Hure entlangsegeln zu lassen; seine Potenz wird durch die Macht des Geldes wunderbar erfrischt. Treue kostet. Despina ist nachgerade überrascht, daß er weiter nichts will. Viva Despina che sa servir.





I/11


Die con tenerezza affettata hofierte Despina erkennt die Herren nicht, da "ist die Sache schon entschieden; wenn die uns nicht erkennt, gibt es nichts mehr zu fürchten". Sobald die Masken ihren ersten Test bestanden haben, platzen die Damen herrschaftlich herein, "Ragazzaccia tracotante", und verlieren beim Anblick der Verehrer zu ihren Füßen prompt die Beherrschung. Das ist fatal.
Gewiß leuchtet uns die Psychologie der Wut, später des Mitleids, spontan ein, aber wir laufen Gefahr, allzu fix zu verstehen, was uns eigentlich fremd anmuten sollte. Wut und Zorn der Damen dürfen als angemessene Reaktion treu verlobter Bräute nur gelten, wenn eine beherrschte Haltung sie diktiert: Gleichgültigkeit, die sich kühlen Kopfes den Ausdruck erboster Wut leiht; das ist, was von ihnen erwartet wird. Machen wir uns die Verschiebung gegen unseren common sense klar, eine Umkehrung beinahe: wo wir "aufrichtige" Wut verlangten, um der beteuerten Unschuld zu glauben, kennt ein Cosi noch prägender Code nichts unangemesseneres als eben persönliche Empörung; wo wir Koketterie, Spiel und Fragwürdigkeiten witterten, bei einer bloß vorgestellten, uneigentlichen Wut nämlich, wird von ehrenhaften Bräuten noch 1790 just diese verlangt.

"Ah, perdon, mio bel diletto;
Innocente è questo cor."

Fiordiligi und Dorabella bitten ihre abwesenden Liebsten um Verzeihung für den Mangel an Beherrschung, den sie an den Tag gelegt haben. Darum sind Alfonso und Despina "quella rabbia e furor" zurecht verdächtig; nicht weil es laut zugeht, sondern weil die Damen sich mit empfundener Wut eine Blöße geben. Sie sagen es übrigens selbst, sie sind ärgerlich und erschreckt. In den Schlusszeilen des Aktes bestätigt sich das unserer Orientierung Fremde des Codes: Ferrando und Guglielmo zweifeln endlich, ob die Wut der Frauen echt oder vorgetäuscht ist, sie fürchten, solches Feuer möchte sich in Liebe wandeln. Tugendhaft wäre der fingierte Zorn, denn er verriete gelassene Beherrschung, der echte ist fragwürdig. Hier im Sextett ist ihnen der Zorn der Damen unverdächtig, weil sie ihn mit einer Selbstverständlichkeit, die schon fehl am Platze ist, für souverän halten.
Nicht umsonst aber brechen die Damen bei der ersten Konfrontation mit den Neuen die Regeln: das Unvermögen, ihnen gerecht zu werden, ist schon der Vorschein des neuen Codes. Die Schlussszenen des ersten Aktes stellen uns die Damen in einem Dilemma vor, das sehr genau einen historischen Umbruch des Codes reflektiert. Sie haben spontane Regungen, Zorn, Schrecken, später Mitleid, wo der überholte, aber noch aktive Code ihnen Beherrschung, mühelose Gleichgültigkeit nahelegte; sie leiden Gefühle, wo sie über Affekte verfügen sollten; sie sind schon "natürlich", d.h. passive, naive Gänse mit Romanen im Kopf, die sie nicht mehr gelesen haben, sich zu wappnen, sondern zu fühlen. Noch Alfonso wird in der Form seiner Äußerung vom alten Code beherrscht: "Bemüht euch, ihnen Mitleid zu zeigen" fordert er die Damen vor den sterbenden Albanern auf: selbst Mitleid wird, wenn auch durchtrieben, als eine Regung behauptet, über die frei zu verfügen wäre. Er weiß, wohin das führt, selbst als aufgesetztes, - er rechnet mit einer narzistischen Verführung durch die eigene Regung - , aber weiß er auch, wie die Damen ihn schon überholen vor lauter moderner "Natürlichkeit"? Schon auf der simulativen Ebene will das Stück sich nicht entscheiden, eigentlich beherrschte Damen sollen von ihren Affekten überrumpelt (zielbewußtes Erregen von Mitleid), und "natürliche" Damen peu à peu um die Einschränkungen der Tugend gebracht werden, damit sie ihrer "Natur" freien Lauf lassen: beides nacheinander, 1. und 2. Akt, wir sehen den Code selber am Werk, im Fluss durch eine bis heute faszinierende Brechung.
Das ist, was uns - vor ewigen Werten - das Stück so teuer macht. Und auch weshalb spaßige Aktualisierungen das Stück so leicht verfehlen, es ist doch schon da ...

Tritt hinzu seine (selbstbezügliche) Theatralität. Sie erst entfaltet das Feld der Codierungen ganz. Mögen die Damen des Stücks, noch bevor den Herren etwas schwant, die erschreckten Gänse sein, der Primadonnenreflex tariert die Pole der Codeverschiebung aus: Die Natürlichkeit der Damen ist theatralisch. Und holt so das klassische, selber theatralische Ideal der beherrschten Affekte ein. Was die Dame bloß leidet, hat die Primadonna in schöner Freiheit sich gegönnt, ja provoziert. Damit das keinen Zweifel leide, findet sich gerade hier eine beinahe kritische Unschärfe der Simulation. Die Primadonna ragt weit hinein, die "natürliche" Schwäche der Damen ist immer als Mache präsent, und das genau hat man frivol genannt, als man für das Theater noch nicht blind war, wenn es auch, weil man in puncto "Natürlichkeit" der Damen schon empfindlich war, nicht mehr gefiel: es ist "frivol". Aber doch so klug angelegt, daß die Autoren, von echten Einbrüchen abgesehen (wenn z.B. Dorabella die sterbenden Albaner mit "che figure interessanti" kommentiert) die Unschuldigen spielen könnten, für die man den einen denn auch brav genommen hat, um dem anderen mit Vorwürfen zu kommen, die seiner perfekten Zweigleisigkeit nicht gewachsen sind. Dieser vage Ärger über eine frivole Ironie, die man, solange man in der Simulation allein sucht, nie recht belegen kann. Denn "frivol" ist nicht, daß die Damen schließlich umfallen, dann, ohne Wahl, bereuen und sich mit den alten Liebhabern neuerlich verloben; noch weniger der Mythos von einer weiblichen "Natur"; eigentlich anstößig ist, daß der sichere Boden solcher Anschauung hier ein Theaterpodest ist, das "Natur" beständig desavouiert und ihre vorzüglichen Eigenschaften, die Passiva der Gänse ziemlich irritierend durch die Aktiva zweier Damen auf dem Theater begleicht. Hier wenn überhaupt, ist die biographische Bemerkung von der Liebe da Pontes zur Ferrarese, der Primadonna, am Platz. Sie beweist nichts, aber sie leuchtet ein. Und es kann nie schaden, noch einmal auf die absichtsvolle Schwäche der Simulation hinzuweisen: ein kurzer Einblick in die historischen Lebensumstände wirklicher Frauen aller Schichten klärt darüber auf, daß Fiordiligi und Dorabella durch den bloßen Mangel an "persönlicher Geschichte" mit Freiheiten ausgestattet sind, die sie den meisten Frauen ihrer Zeit voraus haben dürften. (Inzwischen hat die Wut zur Katastrophe sogar diesen Umstand noch in die Simulation hineingezwungen, der bloße Mangel an persönlichen Daten sei ein "hier bewußt eingesetztes Stilmittel, um die beiden Frauen zu charakterisieren" aha, sie sind dann: weltfremd, unschuldig, naiv.) [ Natosevic S.42]
Tatsächlich gäbe es nur eine (müßige und absurde!) simulative Konstruktion, die wenigstens oberflächlich funktionierte: sie sind Sängerinnen der neapolitanischen Oper, zur Zeit in ihrem Landhaus vor der Stadt. Das Beste ginge natürlich trotzdem verloren, aber bei der Simulationsnot unserer Theater, wundert es mich wirklich, daß niemand einen Versuch gemacht hat.

Statt den Fremden kühl die Tür zu weisen, lassen sich die Damen in heller Aufregung gehen: Gelegenheit für den unwürdigen Anstifter des ungeheuerlichen Verrats, seine Intrige fortzuspinnen. Er freut sich, seine liebsten Freunde wiederzusehen, was übrigens, weil es nicht im mindesten Verdacht erregt (- ist nicht Alfonso bei den Damen als Freund der Offiziere eingeführt?) die Oberflächlichkeit solcher Freundschaft beleuchtet. Dabei ist das ganze Manöver freilich die reine Bosheit, aber wenn schon Despina die Herren nicht erkennt, kann Alfonso sich bei Damen wie Herren etwas herausnehmen, die Wahrheit nämlich.
Ein Wort gibt das andere. Und wieder müssen wir Fiordiligis kommunikatives Talent bewundern. Das wirkt im Unscheinbarsten, im förmlich Abweisenden, und ist doch stets ein Aufhänger, der, ein Abglanz alter Stehgreiftraditionen, die Mitspieler zur Improvisation kitzelt. Guglielmo lässt sich nicht lange bitten - und hier, zum ersten Mal in Maske, kommen die Herren charmanter weg als bisher. Die Schlagfertigkeit, mit der er sich Fiordiligis Zorn unterwirft, nur um die erotische Provokation zu steigern
"Ai vostri piedi due rei, due delinquenti,
ecco, Madame!"
nimmt für seinen Witz ein, auch wenn die "Sünder zu Füßen" an sich nicht besonders originell sind. "Amor...",der Gott beim Namen gerufen, fährt Dorabella in die Glieder, ein Zauberwort, das die Höllenfürstin zur Rückkehr lockt, ein süßer Schrecken ihr, wie uns Mozarts Streicheraureole. Die Herren sind auf der Höhe des Spiels: poetisch, leidenschaftlich und witzig. Und wo sie munter überziehen (denn die Poesie ist bekannt, die Leidenschaft geliehen, der Witz teils obszön, teils unbedacht), gerade als wollten sie über das eigene Theater sich lustig machen, geraten sie schon tiefer hinein. Sie verfangen sich in der Ambivalenz der Maske: als Albaner sind sie aufregender, sie mögen noch so übertreiben, man dankt es ihnen prompt: "Stelle! Che ardir!" Der Abschnitt ist mit seiner vollkommenen Überblendung von Theater und Simulation ein Genuß für Freunde des Ballspiels. Wer redet hier eigentlich mit wem? Schon bevor Fiordiligi mit der Felsenarie retourniert, blitzt in den Äußerungen der Damen, nur so eben noch von ihrer gewöhnlich hochtrabenden Rede gedeckt, der theatralische Reflex. "Numi, che sento!": der amoureuse Schrecken und seine seriöse Deklamation: was die Gans erschreckt, trifft die Primadonna weniger unvorbereitet, wenn auch beide es begrüßen. "Stelle! Che ardir!": was Fiordiligi einen Augenblick kritiklos bewundert, fasst die Primadonna beifällig in ein Kompliment, das sich nichts vergibt. Ein Abschnitt wie dieses Rezitativ macht es unmöglich, die Trennung von Simulation und Theater vollständig durchzuhalten - und das ist ihr Reiz.




Nr. 14 Fiordiligis (Felsen-) Arie

I. Fiordiligi

Wie schon vor Dorabellas Eumenidenarie läßt sich auch hier der Streit, ob wir es mit einer "Parodie" zu tun haben oder nicht, nur schlichten, wenn wir aufhören, ihn ernst zu nehmen. Der Frage "Ernst" oder "Parodie" fällt die ganze Nummer durchs Sieb, ohne daß Wesentliches hängenbliebe.
Wie man den Ernstfall übers Knie bricht, lesen wir bei Kunze:

"Vieles, was Da Ponte zweifellos ironisch, ja sogar parodistisch auffaßte, ... ist von Mozart ebenso offensichtlich ernst, die Zeitgenossen hätten gesagt: erhaben aufgefaßt worden. Es gibt nicht das geringste Indiz dafür, daß ... die bedeutungsvolle Strophe nicht in vollem Ernst gesagt ist: "Con noi nacque quella face / Che ci piace e ci consola / E potra la morte sola / Far che cangi affetto il cor. (Uns ist die Fackel eingeboren, / die uns erfreut und tröstet. / Nur der Tod wird es vermögen, / daß das Herz seine Neigung ändert.)" [ Kunze S. 445]

Indizien, die den Streit entscheiden sollen, seien allein bei Mozart zu suchen.

"... Wenn das aber wahr ist, was Fiordiligi hier bekundet, und nicht nur unechtes Pathos, dann kommt der Ausgang des Spieles einer Katastrophe gleich, die eine Versöhnung unglaubhaft erscheinen lässt. ... Jedenfalls sind die Beziehungen der beiden Paare an der Wurzel zerstört ... Die Versöhnung in Cosi fan tutte ... ist irritierend. Aber auch sie gehört zweifellos zur Wahrheit des Werks; denn sie wird von Mozart nicht etwa bloß durch konventionelle oder ironisierende Komödienheiterkeit dargestellt. Mozarts Musik erweist sogar in dieser prekären, paradoxen Situation ihre zusammenführende Kraft, ohne zuzudecken, was geschehen war."[ Kunze S. 445/6]

Was zu gleichen Teilen die Zuständigkeit des Musikologen wie Mozarts Genie vorführen soll, könnte kaum fragwürdiger sein. Die Wahrheit der Bekundungen Fiordiligis hat ja, soll man Kunze folgen, Mozart gegen den - wir haben das fast vergessen - noch immer "zweifellos ironischen, ja sogar parodistischen" Text gesetzt; die Katastrophe ginge so auf Mozarts Konto wie die Versöhnung, es gibt da, auch wenn Kunze das jetzt, wo es ihm passt, glauben machen möchte, logisch kein Außen, das Mozarts Kraft zusammenfügte: die Versöhnung wäre etwa so textfern zu bewältigen wie die Komposition einer Sonate mit katastrophalem Einschlag und glanzvollem Trotzdem im Schluss: eine rein musikalische Angelegenheit. Das hieße, Mozart mit der fragwürdigsten Begeisterung an seinem Gegenstand vorbeilaufen zu sehen.

Hermann Abert, hat sich, obwohl ihm das Libretto mißfiel, zu solcher Ignoranz nicht hinreißen lassen.
"Schon der Text knüpft an die beliebten Gleichnisarien an, und was wir in den ersten vierzehn Takten zu hören bekommen, ist ganz der bekannte, kulissenreißerische Stil der Neapolitaner ... Die umständliche Kadenzierung bei "far che cangia affetto il cor" mit ihrer tändelnden Koloratur verrät deutlich, was diese Dame unter "affetto" versteht, und ganz folgerichtig fällt darauf das Orchester mit einem lärmenden, nichtssagenden Skalengerassel ein. Im Più Allegro erreicht dieser Virtuosenstil seinen Höhepunkt, zumal in der fulminanten Koloratur auf "speranza" und dann in dem Zusammengehen der Singstimme mit den baßführenden Bratschen; aus beidem leuchtet die Ironie ganz deutlich hervor."Abert, Bd2 S. 547

Wenn Abert hier meine ganze Sympathie hat, schon weil er seinen Mozart weniger erhaben liebt, werde ich mich trotzdem nicht darum schlagen, ob die Koloratur tatsächlich tändelt, die Skalen rasseln, die Ironie deutlich hervorleuchtet. Jeder hört oder spielt, was er will: Gerade der musikalische Text wird von denen, die mit zünftiger Selbstverständlichkeit alle ihre Argumente aus Mozarts Komposition ziehen, an den Rand der Beliebigkeit gedrängt. Auch Abert hat vom Text wenig mehr als eine vage "Parodie" anzubieten, und es ist reine Intuition, wenn er eine positive Entsprechung Mozarts zu hören meint.


Daß der Text da Pontes grundsätzlich parodistisch angelegt ist, bestreitet niemand. Fiordiligi kopiert eine Seria-Heldin. Auch daß sie meint, was sie sagt, und nicht kühlen Kopfes bis durchtrieben der Konvention genügt, scheint eindeutig. Was sagt sie aber? Können wir die Pose als randständiges Charakteristikum abziehen, um im Kern den Ernstfall Fiordiligi herauszupräparieren? Legt da Ponte ihr ein schlüssiges Treuebekenntnis in den Mund? Entsteht, wie Floros meint, die Ironie rückwirkend, "wenn der Zuschauer" (im 2.Akt) "Fiordiligis Fall gewahr wird" und sich erinnert "an jenes Gelöbnis der Standhaftigkeit, das zu halten Fiordiligi nicht imstande gewesen ist"? Eben nicht.
Fiordiligis Felsenpostament wackelt. Sie beherrscht ihre Pose nicht sicher genug, um sich nicht just in einer der Pose geschuldeten Neigung zu pathetischen Häufungen zu verheddern. In mehreren Varianten bemüht Fiordiligi diese (metastasianische) Figur; da Ponte zieht die Register. Von der bloß nachdrücklichen, leeren Verdopplung zu Beginn ihres Rezitativs
"Sortite! Fuori di questo loco! "
über eine komische Variante
"Nostro cor, nostro orrecchio e nostri affetti",
wo zwischen Herz und affetti das Ohr sich einen Hauch zu organisch ausnimmt, zur bemerkenswerten dritten
"Invan per voi, per gli altri, invan si cerca",
die den Albanern nahelegt, eine Ablehnung nicht persönlich zu nehmen, zur vierten und das Rezitativ beschließenden:
"A dispetto del mondo e della sorte",
die von der Idee beflügelt, ihm zu trotzen, ein (lustvolleres) Schicksal entwirft, ohne zu realisieren, daß man einem Schicksal, wenn man es denn behauptet, nicht mit Trotz beikommt: Eine Phrase, die (mit welcher Ökonomie!) unmißverständlich vorführt, daß nicht die Tugend selbst, sondern ein triviales Bild von ihr Fiordiligi beseelt, die Pose einer untergangsgeweihten Theaterheldin, deren vergebliches Ringen, deren tragisches Scheitern sie für die Essenz der Tugend hält. Und welcher Tugend! Wie wenig stimmt das theatralisch Aufgedonnerte gerade zur Treue.

Fiordiligi weiß weder von Liebe noch gar von Treue etwas.
Fiordiligi ist treu überhaupt. Ihre Treue bleibt abstrakt bei sich selber. Der Arie geht ein Objekt dieser Treue ab. Im Rezitativ, wo sie eines präsentiert, spricht sie (und im wahrsten Sinne zweideutig), für ihre Schwester mit, im Plural (!): "cari amanti", und das folgende, Todestreue und Schicksalstrotz, drängt das Objekt noch weiter ab, der ganze Aufwand fällt zurück auf die Heldin selbst. Die neuen Freier nennt ihr Wille zum Theater "Anime ingrate". Undankbarkeit aber ist ein irritierender Vorwurf: als Männer überhaupt sollen die Albaner dankbar sein für die Treue, die Fiordiligi überhaupt aufzubringen gedenkt. Abgesehen von dem herzlich Unpraktischen dieses Ansinnens, sagt auch das wieder, wie sehr ihrer Treue der Gegenstand fehlt; komisch gewendet gilt sie dem Geschlecht der Männer überhaupt. Solche Zweideutigkeit wiederholt sich in der "barbara speranza". Grausam die Hoffnung: gegen wen? Entweder ist das Begehren der Albaner ihr selbst eine Qual, dann haben wir es mit einer Treue zu tun, die - ganz im Sinne von Fiordiligis Idee der tragischen Heldin - mit ihrer Gefährdung kokettiert, oder sie fühlt allzusehr mit den Schmerzen, die die Freier leiden. Es scheint, daß Hoffnung in Zeiten, die einen felsenfesten Mangel an Bewegung verlangen, grundsätzlich und für alle Beteiligten grausam ist. Wirklich entscheidend aber ist, daß Fiordiligi sich schlicht vergreift. "Barbara speranza" ist ein ihrem Jahrhundert banal geläufiges Moment der amourösen Rethorik und hier durchaus fehl am Platz.

Die Idee, hier sei irgendetwas im Ernst gesagt, verbietet sich von selbst, es sei denn, man stellt klar, daß eben dieses unsägliche Heroinenkauderwelsch Fiordiligi ernst ist. Wie hat man, neben den erwähnten Details, den Unsinn im Großen unterschlagen können, das Linkisch-Verpatzte der Poesie, wie sie da Ponte, Literaturprofessor, gnadenlos verrissen hätte, im Ernstfall. "Wie ein Felsen unbeweglich bleibt / gegen die Winde und den Sturm, / so stark ist immerdar auch diese Seele / in der Treue und in der Liebe." Das ist die reichlich schiefe Anverwandlung eines Gemeinplatzes. Und mit welcher Gleichgültigkeit gegen minimale Verbindlichkeiten der Metaphorik geht es weiter: "Mit uns wurde jene Fackel geboren". Welche Fackel? Die metaphorische, fix bei der Hand, wenn Fiordiligi den Murks (Felsentreue Liebessturm ..) bündeln will in abstraktem Pathos. Eine Übersetzung, die ihr die Fackel, weil die allem leuchtet, raubt und "Treue" diktiert, tut ihrem poetischen Ingenium bitter unrecht. "Mit uns wurde jene Fackel geboren / die uns gefällt und die uns tröstet, / und nur der Tod allein könnte bewirken, daß das Herz sein Gefühl wechselt." Wessen Tod? Niemand ist so bösartig, hier an die fernen Krieger zu denken; also der eigene, Fiordiligis (und Dorabellas) Tod. Der aber nimmt das Herz kalt mit hinab. Was heißen sollte: "treu bis in den Tod", ist zu einer rethorischen Verspannung getrieben, aus der der Sinn in andere Richtungen springt. Da ist erstens ein Reflex auf die konventionelle amouröse Totenreichmetaphorik ihrer Schwester und zweitens ein Wegweiser, den nur Despina witzig genug ist, zu lesen: es wird der fingierte Tod der Albaner sein, der die Herzen klopfen macht. "Achtet, undankbare Männer," (feinstofflich anime) "dieses Beispiel der Standhaftigkeit / Und eine grausame Hoffnung / mache euch nicht noch kühner!" - Welcher Bewerber gäbe es gerade jetzt auf.

Die Felsenarie Fiordiligis hat nicht ihresgleichen. Da Ponte hätte sie nicht komischer zusammenstoppeln können. Wer hier humorlos eine gewisse Ironie ausmacht und den monströsen Unfug ansonsten für die halbwegs seriöse Arie hält, wie sie eben der Feder eines da Ponte sich verdankt: dem erscheine er nachts im Schlaf. Ein Kunststück war es dennoch, dem Gereime eine Richtung zu geben. Was bei Dorabella ein komisch unzulässiges Wissen um die begrüßenswerten Effekte der Höllenfahrt war, ist bei Fiordiligi die irritierende Deutlichkeit, mit der sie ex contrario das Wesen der Treue ausspricht: Weil die Liebe eine Bewegung und die Treue ihre Wiederholung ist, just darum lässt da Ponte den abgeschmackten Felsen wackeln. Weil niemand treu geboren wird, behauptet Fiordiligi es von sich und ihrer Schwester. Weil sie sich die Treue als eine Heldenqual vorstellt, bekundet sie Gefallen daran, und weil sie's selbst nicht glaubt, führt sie den Trost an, den das treue Subjekt ganz für sich aus seiner Treue zu ziehen vermag.

Wenn wir das theatralische Wesen der Figuren ignorieren, fällt uns das ganze Stück zusammen: Fiordiligis fragwürdigen Ernst der Felsenarie mit dem "tiefempfundenen" ihres Rondos im 2.Akt aufzupolieren, bedeutet, im Bilde "persönlicher" Eigenschaften jede Entwicklung stillzustellen, und die tatsächlichen Potentiale, die Flexibilität der theatralischen Distanzen des Stücks herzugeben für die Simulation eines fixen Charakters, im Falle Fiordiligis für eine kitschige Ikone des brav mit sich ringenden Bürgermädels. Cosi hält sich nicht umsonst in einer definierten Nähe (einer bestimmten Entfernung) zum Typentheater auf. Der frühe, vergleichsweise harmlose Vorwurf frivoler Albernheit ist rein gar nichts gegen modernere Versuche, das Stück um den Preis seiner völligen Enstellung mit just dem abgeschmackten Ernst zu befrachten, den es hell und hier wirklich: erhaben von sich weist. All die Katastrophen, die bestürzenden Abgründe der menschlichen Seele, die uns heute bei jedere Gelegenheit mit feierlicher Befriedigung aufgetan werden, sind eine spießige Zumutung.
Eine Kritik, die sich sträubt, das Lächerliche der Felsenarie zu bemerken und Fiordiligi von ihrem idealischen Felsen zu erlösen, erweist sich einen Bärendienst. Fiordiligi weiß noch kaum, wovon sie redet.

II. Die Primadonna

Die Felsenarie gehört zu den komischsten Nummern des Stücks. Dieser Umstand macht den seelenkundlichen Tiefgang vorm Ernstfall obsolet. Darum neigt eine Kritik, die vom Theater der Primadonna nichts wissen will, dazu, das Komische abzublenden; es geniert sie, und zwar nicht, weil es Fiordiligi klein, lächerlich machte, sondern die Primadonna ungemütlich groß.

Was immer man von Mozarts Komposition sagen mag: die Primadonna wird glänzend bedient. Und dank Fiordiligis besonderem Aufwand hören und sehen wir sie doppelt: eine Primadonna, die die Kopie einer Primadonna vorstellt. Es geht nicht darum, den Status berühmter Sopranistinnen von außen an das Stück heranzutragen: die wirkliche Sängerin hat zur Primadonna kein anderes Material als eben Fiordiligis Kopie. Die Primadonna ist Funktion des Stücks, eine ihm eingeschriebene theatralische Differenz. Die Felsenarie erzeugt zugleich die Primadonna (wir bewundern sie) und Fiordiligis Kopie (wir kämpfen mit den Tränen). Zum kleineren Teil ist die von der Lächerlichkeit Fiordiligis unversehrte Souveränität der Primadonna die einer brillianten Komikerin. Entscheidend aber ist gar nicht dieser Aspekt maximalen Abstands zwischen Primadonna und Fiordiligi, sondern der ihrer Konvergenz, - und an diesem Punkt geht das (theoretische) Nebeneinander in die Così-typischen Spiegel ein: Fiordiligis Unwissenheit ist komisch kurzgeschlossen mit der primadonnesken Indifferenz gegen Inhalte. Rouladen, Koloraturen, Intervallhubereien, der Gesang der Primadonna, erhaben über alles und jedes, erhaben sogar über die groteske Kopie seiner selbst, die Lust der grandiosen Gurgel: genau da funkt's. Fiordiligi singt ihre erste große Arie. Sie könnte kaum verzweifelter bemüht sein, Effekt zu machen, und macht sie etwa keinen? Ihre Anstalten zur Primadonna sind vielversprechend und sie hat die Lacher schon auf ihrer Seite.

III. Mozart

Gesetzt, Mozart hätte wirklich - aus Ungenügen am Text oder im Bedürfniss, 'den beweglichen Komödiengeist zu übersteigen' - die pathetische Unwissenheit Fiordiligis zu einem glaubwürdigen Treuebekenntnis modeln wollen: er hätte die blanke Bravour der Primadonna unterlaufen müssen. Eine innige, schlichte Arie ohne Budenzauber, die rechtfertigte eine Diskussion um die Ernsthaftigkeit Fiordiligis. Mit einer solchen Arie auf da Pontes Text ließe sich wirklich über Perspektiven, Differenzen, über Ironie und Erhabenheit streiten, denn auch dann bliebe ja der grotesk-theatralische Text präsent.
Das heißt: wir haben nicht den geringsten Anlass zum Zweifel, denn jedes bravouröse Element der Komposition - und die Arie wimmelt davon - fügt sich als solches schon dem Vorhaben des Textes ein. Fiordiligis Bravour ist keine randständige, der Theatergurgel geopferte Zutat, die wir separat von einem "eigentlichen" Sinn genießen könnten. Der naivste Komponist, wenn er seine Primadonna nur einigermaßen bediente, geriete unweigerlich in das Kraftfeld des Textes, eine kleine Koloratur, ein zündender Lauf, und schon ist Fiordiligi mit der Primadonna kurzgeschlossen.
Die Felsenarie treibt das im ganzen Stück waltende Moment theatralischer Selbstbezüglichkeit auf die Spitze. Sie führt beispielhaft vor, wie neutral, objektiv, distanziert Mozart unter den Bedingungen, die da Ponte für ihn schafft, schreiben kann.
Dies festgehalten, kann jeder sich getrost auf seine Ohren verlassen und ich für meinen Teil behaupten, die Felsenarie zeige zugleich, mit welcher Lust Mozart eben diese Distanz aufgibt, oder anders: ins Komische überführt; als setze die reflexive Anlage des Textes, gerade weil sie ihm keine Kommentare oder Bedeutsamkeiten (Faxen erster Ordnung) abverlangt, seine Energie zur Komik erst frei. Daß noch das seriöseste Täterä immer komisch herauskommt, muß Mozart solchen Spaß gemacht haben, daß er nach Kräften überzieht. Aber das ist bloße Spekulation; sehe jeder zu, wie er die Felsenarie, einmal verstanden, höre, ohne eine Miene zu verziehen.

Immerhin: Die These, Mozart habe gewissermaßen unfreiwillig den Intentionen des Textes entsprochen und daneben anderes im Sinn gehabt, erschreckt durch das Ausmaß an Naivität, das sie Mozart unterstellt: das grenzt an Blödigkeit. Was wäre Mozart da nicht alles unterlaufen! Das finge bei seiner Textversion an: die ersten ausführlichen Wiederholungen isolierten ganz unsinnigerweise die Zeile "far che cangi affetto il cor", ja, "far che cangi" ausgerechnet trüge widersinnige Fermaten. Am Schluss ließe er Fiordiligi die Zeile "non vi renda audaci ancor" 5 mal wiederholen bis sie sich zu "audaci ancor, audaci ancor" verjüngt, wahrscheinlich um kühner, immer kühner mit den frivolen Witzen des Dichters ins Gericht zu gehen. Und erst die Musik! Ich lasse die leidigen Bravourmomente aus, die dem Text so verhängnisvoll entgegenkommen. Aber ich möchte auf die Takte 23 - 28 aufmerksam machen ( - die mich als Muster Mozartscher Bosheit so erheitern, daß ich mir den Abschnitt in seiner perfekten Graphik aus der Partitur kopiert und gerahmt habe)



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Musste das sein? Diese (an die Ouvertüre erinnernde) Bläsergirlande, mit zugehörigem Trivialarrangement dreimal unverändert wiederholt, daß jeder merkt, es könnte endlos so weiternudeln? Und das ausgerechnet über den Text: "Con noi nacque quella face"? Wäre das nicht zu vermeiden gewesen, ein Abschnitt, der leere Wiederholung ausstellt, wo Fiordiligi ihre Fackel zündet? Wenn wir, bei aller Liebe, nicht umhin könnten, uns einzugestehen, zu welchen Entgleisungen Mozart imstande ist, spränge uns das Fragwürdige, das nicht mehr Entschuldbare seiner Wehrlosigkeit aus beinahe jedem Takt entgegen. Wer einmal anfinge, sich zu fragen, ob dies oder das nicht anders, unzweideutiger, erhabener hätte gesagt werden können, wer an Mozart zweifelte, der fände aus dem Labyrinth seiner Fehlleistungen kaum noch hinaus ... Warum verhindert er nicht energischer, daß man beim Andante maestoso auf den Gedanken kommt, Fiordiligi sei, schon singend, damit beschäftigt, ihr feierliches Postament zu besteigen. Warum überhaupt läßt er sie im Ton so sehr schwanken? Kaum hat sie wirklich die Pathoshöhe erklommen, fällt Mozart nichts besseres ein als ein fragwürdiges Hm-ta-ta-ta (und wieder genau über dem Wort Treue). Auch mißfiele uns ein Zug zum Stückwerk, als hätte er es geradezu darauf abgesehen, die Abschnitte weniger organisch auseinander hervorgehen zu lassen. Dazu Passagen, die entweder überhaupt sinnlos wären, oder aber wirklich von Verirrung zeugten, etwa die bei Wiederholung der Felsenstrophe durchs ganze Orchester stürzenden Kaskaden. Es ist offensichtlich, daß sie etwas bezeichnen, und zwar geradezu unmozartisch plump, aber was? Hat nicht ein hergelaufener Formelhuber unlängst behauptet, da käme der Stein buchstäblich ins Rollen? Und können wir's ihm abschlagen? Uns rettet nur eins: alle hier ins Feld geführten Beobachtungen (miß)deuten den musikalischen Text. Wenn wir nicht wollen, beweisen sie gar nichts.



Die Felsenarie ist eine Abgangsarie, oder es hat nie eine gegeben. Diesmal ist Ferrando schneller als Guglielmo: "Ah, non partite!" Witz war da nicht nötig: er ist hin und weg von - Fiordiligi.
Es ist viel gemutmaßt worden, wie es zum Partnertausch kommt. Die schlichteste Version unterstellt ihn als unausgesprochene Bedingung der Herrenwette. Joachim Herz hat da Zweifel angemeldet: das Wahlduett der Damen im 2.Akt hinge in der Luft. Und tatsächlich: wo die Herrenwahl sich von selbst versteht, muß das Duett stören.
Mit schwankender Gewichtung ist auch die erst im Tausch stimmige Rollenfachzuordnung der Paare behandelt worden. Ein psychologisierender Ansatz will wissen, Fiordiligi und Ferrando, Guglielmo und Dorabella passten besser zusammen, das Finale sei auch darum eine Katastrophe. Andere, vorsichtiger, wollen da lieber nicht entscheiden. Auch übt das Rollenschema zur Entstehungszeit der Oper den alten Zwang nicht mehr.
Die unabhängig voneinander behandelten Fragen, was es heißt, wenn ein wie auch immer verpflichtendes Rollenschema sich erst im Tausch erfüllt, und wer ihn provoziert, rücken zusammen, sobald wir aufhören, die Personen des Stücks wie alte Bekannte zu behandeln. Das mag ein vielgerühmter Reiz des Mozartpersonals sein und bleibt doch ein Mißverständnis, solange wir uns theatralische Präsenz immer nur durch "Persönlichkeit" erklären können.
Auch Kunze, der das Stück gewiss nicht zu leicht nimmt, hat, leicht quer zu seiner Betrachtung der Felsenarie, durchaus Sinn für die Verschränkung simulativer und theatralischer Momente; wenn Fiordiligi den Entschluss fasst, den Offizieren aufs Schlachtfeld zu folgen, glaubt er den "bei Fiordiligi stets naheliegenden Punkt erreicht, in dem das Verzweiflungspathos ins Komische umzuschlagen Gefahr läuft". [ Kunze S. 472/3] Das ist in Kunzes Buch ein enormes Zugeständnis und zugleich die Grenze, die einem von der Simulation her denkenden Verständnis gesetzt ist: das Komische schon präsent, - doch als Gefahr, für die "Person". Es ist aber gar nicht eine spezifische Individualität Fiordiligis, die solcher Gefahr vergnüglich zu steuern vermöchte, das schafft allein die Präsenz der Primadonna.
Für Rollenschema und Partnertausch ist beinahe alles entschieden, wenn wir gewahr werden, daß der reflexive Raum des Theaters sich uns durch die Frauen öffnet. Die Herrenintrige holt erst ein, was als theatraler Raum den Frauen wie natürlich eignet. Die Herren spielen Theater, ihre Maskerade ist nichts anderes, als die Vereinnahmung einer theatralischen Distanz durch die Simulation, und neben Guglielmo, dem Albaner, hat es eine dritte Instanz schon schwer, weil der primo buffo im Verhältnis seiner Rollen aufzugehen scheint. Das "Theater im Theater" ist gar nicht sonderlich amüsant, auch wenn das meist angenommen wird; nicht daß die Offiziere Albaner spielen und dabei doch Offiziere sind, schärft unser vergnügtes Bewußtsein vom Theater (als einem Raum, in dem wir uns eben jetzt selbst befinden!), sondern es ist die theatralische Präsenz der Frauen, die das Stück witzig genug ist, uns als ihre Natur zu verkaufen. Während scheinbar Natur und schlichte Simulation auf Seiten der Frauen sich einer gewieften Herrenintrige, dem Apparat eines Theater im Theater zu erwehren haben und glücklich unterliegen, ist in Wahrheit alles genau umgekehrt: die Natur der Damen schillert theatralisch und die Intrige ist brav simuliert; was sie an theatralischen Distanzen produziert, fällt der simulativen Verdopplung der Herren anheim. Die Intrige tappt dem Theater hinterher. So kommt man sich entgegen. Das Auftrittsduett der Frauen schon bereitet dem Tausch das Terrain, und jetzt reißt es Ferrando als ersten in den Sog, er ruft spontan hingerissen von ihrer theatralisch heroischen Arie Fiordiligi, die Falsche, zurück.
Der Schlüssel zur Rollenfachzuordnung der Paare liegt in da Pontes Umkehrung der gewöhnlichen Simulation. Fiordiligi und Ferrando, Dorabella und Guglielmo finden zusammmen, weil sie auf dem Theater zusammenfinden: daß der Tenor zur Primadonna gehöre, ist eben Theater. Und umgekehrt ist die ganze Operation selbst ein starker Verweis auf die Theatralität des Bühnenereignisses. Eben weil das Rollenschema der Tradition sich aufzulösen begonnen hat, kann da Ponte es als Reflex setzen.



Guglielmos Arie (Nr.15)

Guglielmos ursprüngliche Arie ist durch eine andere ersetzt worden und man merkt es dem Anschluss an. Im Rezitativ der galante Ton, in der neuen Arie sofort das absichtsvolle Unterbieten der Mindestanforderungen. Aber den rethorischen Bruch hat nicht ein etwa übereiltes Auswechseln herbeigeführt: die alte, "Rivolgete a lui lo sguardo" hatte denselben Bruch auf ihrem Terrain im Auge. Ihre immer unmäßigere Prahlerei ist abstoßender noch als die vergleichsweise bescheidene, ja forciert dämliche Anmache der neuen. Die erste Version übrigens lehrt, wie wenig Guglielmo durch einen theatralischen Reflex gewinnt, der wenn je im ersten Akt dann hier durchschlüge. Er mag noch so sehr den primo buffo vorzeigen, Guglielmo bleibt der alte, die gewonnene Distanz fällt auf ihn zurück, das Theater wird eine Erinnerung, die sein augenblicklicher Held für seine Rolle als Albaner heranzieht. Die Theaterintrige ist vielleicht von jeher ein Mittel, das Theater statt zu verdoppeln, zu vereinfachen, es gegen die Simulation zum Verschwinden zu bringen. In dieser Richtung auch stößt sich von der alten die neue Arie ab. Ihre bescheidenere Prahlerei geht schon als "persönliche" Selbstzufriedenheit Guglielmos durch; er hält sich für einen ziemlichen Fisch im Becken, und nur die plumpe Manier, darauf hinzuweisen, weiß er unter aller Sau.
Beide Arien winken mit dem Zaunpfahl. Guglielmo macht keineswegs den "galanten Schwerenöter", wie Abert das liest. Er versucht auch nicht, schon abgewiesen, das Herz der Damen zurückzugewinnen. Er macht sich lustig.
Zuerst über Alfonso. Die Arie wäre ein klarer Verstoß gegen die Wettbedingungen, wenn sie nicht den Schein eines praktischen Versuchs mit Alfonsos "Theorie" vorschützte. Wer alles, was die Herren Offiziere zum Tugendlob der Frauen vorbringen, mit Fleisch, Knochen und Röcken abspeist, muß sich vorhalten lassen, was passiert, wenn einer frischweg leibliche Freuden verspricht. Kommt, seid nicht zickig, macht Liebe mit uns, das wird euch Spaß machen. Beide Parteien, Männer wie Frauen, sind an einen Aufwand gewöhnt, der, lässt man ihn weg, nur zeigt, wohin man mit Alfonsos Altmännerweisheit kommt.
Und über die Frauen macht Guglielmo sich lustig, insofern sie die Maskerade nicht durchschauen - er hält es (und zu Recht) nicht im Enferntesten für möglich, sie einer so plumpen Werbung erliegen zu sehen. Ihn amüsiert ihre Begriffsstutzigkeit, wo er die Pointe doch zum Greifen nah serviert. Er gibt sich ja fast zu erkennen und weiß zugleich, daß derselbe Code, auf den er für die Tugend der Damen so fest baut, sie hier mit Blindheit schlagen muß. Ihm tief ins Auge schauen, oder dreck, schmeck und leck! an die Nase langen: die Damen müssen als Unverschämtheit von sich weisen, was zugleich des Rätsels Lösung ist. Augen und Nase - der echte Guglielmo in der Maske - werden so falsch wie der Bart.

Es lächert die Herren also zweierlei, einerseits die komische Vernichtung Alfonsos, andererseits die eigene Maske, die erst jetzt, aufgrund desselben Codes, der ihnen den Schein eines Triumphes über Alfonso leiht, wie angegossen sitzt. Das Lachen krampft: es soll agressiv dem Triumph nachhelfen, umso mehr als der Sog in die Maske etwas Beunruhigendes hat. Sie schütten sich aus vor Lachen über ihre echten Bärte. Das Spiel fängt gerade an und sie glauben, geschüttelt von seiner ersten Sensation, nun sei's genug.





I/12


Es ist also unklug, die Herren Offiziere möglichst tief in ihrer Verkleidung zu verstecken, um die Simulation zu stützen, hier die Wahrscheinlichkeit, daß die Damen sie nicht erkennen. Keine Wahrscheinlichkeitsrechnung kann im Ergebnis sich messen mit da Pontes durchtriebener Konstruktion: die Wirksamkeit der Maske von eben dem Verhalten abhängen zu lassen, das die Herrenmoral den Damen abverlangt. Diese vertrackte Unausweichlichkeit der Maske provoziert das Gelächter: nicht gekünstelt, nicht locker: unmäßig und keine reine Lust. Zur Mechanik solchen Gelächters passt ihre Reaktion auf Alfonsos gereizte Frage, was sie denn hätten: "Gia lo sappiamo!" (Das wissen wir schon!). Verweigerung der Antwort (sie haben auch keine), Ausschluss des Fragenden. Es wäre auch zu überlegen, ob es klug ist, die Herren möglichst herzlich, am Notentext vorbei, lachen zu lassen. Selten trifft ein komponiertes Lachen so genau wie hier dessen spezifisches Gewicht. Nichts trägt den Sinn der Nebentextanweisung "ridono smoderamente [sie lachen unmäßig]" besser nach vorn, als die Fesseln, die die Komposition der "Natur" auch dann anlegt, wenn sie brav simulieren wollte.

Auch im Rezitativ kriegt Alfonso keine befriedigende Antwort. Die Herren geben sich riesig überzeugt, die Wette so gut wie gewonnen zu haben. Sie bieten Alfonso zu einem Viertel der Summe den Ausstieg an - scherzando. Ihnen reichts, aber sie wissen schon, daß Alfonso die verabredete Zeit voll zu nutzen gedenkt. Ob eine Inszenierung die Herren Albaner eher nervös oder allzu sicher zeigt, eher den leichten Schwindel vor der Maske oder die falsche Selbstzufriedenheit unterstreicht, bleibt ihr überlassen, solange sie (dezente) Mittel findet, Ferrandos Arie als ein resultierendes Drittes, den qualitativen Sprung nach vorn vorzuführen. Ferrando will nicht essen, er wird vom Hauch der Liebe satt. Ferrando liebt Fiordiligi.



Ferrandos Arie (Nr.17)

Der Tenor bekommt seine Arie, auch wenn es gewaltig bremst und man dem Rezitativ die Not der Motivation anmerkt. Irgendwo muß Ferrando die Liebe besingen, langsam, lyrisch, ideal. Was so gefällt, trägt seine Rechtfertigung in sich.
Darauf aber hat da Ponte sich nicht verlassen mögen. Ferrando besingt nicht die Liebe schlechthin, oder gar das Glück der Beständigkeit, die Erfüllung der Treue, er besingt die Liebeshoffnung, die erste Regung der Liebe.


Un'aura amorosa
Del nostro tesoro
Un dolce ristoro
Al cor porgera.

Al cor che, nudrito,
Da speme d'amore
D'un esca migliore
Bisogno non ha.

Ein Liebeshauch
Unseres Schatzes
Wird süße Labung
dem Herzen sein.

Das Herz, erfüllt
von Liebeshoffnung,
hat einen besseren Reiz
nicht nötig.


Das fängt so harmlos an, wie man es versteht. Aber "speme d'amore", Liebeshoffnung, verrät seine Zweideutigkeit schon daran, daß es sich auf die Beziehung zu seiner Verlobten Dorabella (die ihn morgens um 6 Uhr allmählich vermißt und sich fragt, wo er wohl bleibt) genaugenommen gar nicht recht anwenden läßt. Und auch die zarte Spannung in "esca" (: Lockspeise, Köder, Anreiz) zeigt, woher der Liebeshauch weht. Ferrando, fest verlobt, schwelgt frisch verliebt. Wir müssten unsere begründete Meinung von dem Charakter der Beziehungen zwischen Offizieren und Bräuten völlig umstoßen, oder wie Schünemann so frei und falsch übersetzen, um diese Arie, die Ferrando, käme er nicht wie meist etwas spät, mit gutem Effekt zu Füßen Fiordiligis singen könnte, auf Dorabella zu beziehen. Seine Verspätung, sein liebeseeliger Ernst, zusammen eine Art lyrischer Autismus, seine Ahnungslosigkeit, welche Adressatin ihm die Stimme löst: das ist von abgründiger Komik und schon daher die angemessene Erwiderung auf Fiordiligis Felsenarie. Wieder hat da Ponte es so eingerichtet, daß nicht erst der Komponist sich lustig machen muß; der muß es nicht einmal verstehen. Bravourarie für Fiordiligi, die Primadonna, lyrisch Geschwelgtes für Ferrando, den seriösen Tenor, das täte es in jedem Fall. Was für ein Unsinn, eine "Wahrhaftigkeit" Mozarts gegen da Pontes Lust zum Komischen auszuspielen: erst daß Mozart keine Miene verzieht, macht den Witz ja so gut. Und über jeden Verdacht erhaben läßt er, bevor Ferrando singt, den seriösen Tenor gewissermaßen allein antreten: mit den ersten Akkorden der Arie stellt ein Tenor sich in Positur.
Damit reflektiert Mozart mit souveräner Beiläufigkeit den dramatischen Fortschritt der Szene. Ferrando durchbricht, ohne es zu merken, die Grenzen der eigenen Fiktion. Seine Standbein/Spielbein - Akkorde sind nichts als ein Fuß fassen im Theater und folgerichtig schwärmt er die Falsche an.
Mozarts Anfangsakkorde sind ein regelrechtes Anführungszeichen. Sie setzen mit seltener Direktheit den theatralischen Reflex frei. Aber das ist sowenig zu beweisen wie zu widerlegen. Im Text springt der analoge Reflex aus dem steifen Idealismus, der von Liebe satt wird und Ferrando vor den biederen Überzeugungen des Publikums zum Theaterhelden sentimentalisiert. Aber während wir den lyrischen Tenor als solchen sehen und hören (gegebenenfalls applaudieren wir), bindet die Intrige den Reflex schon in die Simulation ein. Statt Abstand vom Spiel, diese eigentümliche theatralische "Erhabenheit", die den Damen wie selbstverständlich eignet, zu produzieren, verschärft der theatralische Reflex, indem er sich der Distanz Ferrandos zum Albaner angleicht, das situative Dilemma: Der Reflex zieht ihn blind ins Theater.




I/13


Despinas Philosophie der Liebe ist eine streng altgläubige Angelegenheit. Die Liebe eine fröhliche Lust, und vorbei, wenn es unbequem wird oder ganz unmöglich, ihr zu frönen. Ein etwas geschwätziger selbstgefälliger Tonfall weist darauf hin, daß ihr andere Definitionen nur zu bekannt sind; wenn sie den Damen später erklärt, eine Frau könne wohl ohne Liebe, nicht aber ohne Liebhaber sein, taucht verneint ein (auf die Damen berechneter) gefühligerer (weniger lustbetonter) Begriff der Liebe gleichfalls auf. Der bündige Wechsel der Liebhaber folge einem Naturgesetz - wenn man ihm denn folgt und sich nicht wie wahnsinnig aufführt. Der Natur soll zu ihrem Recht verholfen werden, was Despina für vergleichsweise einfach hält - sag es ihnen und der Teufel besorgt den Rest -, wenn auch nicht so einfach, daß sie sich nicht doch ein Ruhmesblatt verdiente. Der "Ruhm" sollte stutzen machen: er ist 1790 schon passé und verknüpft Despina mit einer (wenn auch eben erst) vergangenen Welt ruhmbedachter Verführung. Wie vergangen, lehrt die Wiederkehr einer aristokratischen Vorstellung in den Ausführungen der Zofe. Ähnlich verhält es sich mit Despinas ganzer Philosophie: ihr naturgesetzlicher Hedonismus ist keineswegs auf der Höhe der Zeit, er sperrt sich gegen die bürgerliche Mode, und trägt einen traditionsbewußten Zofenmaterialismus zur Schau.
Sowenig das Stück den denunziert, sowenig folgt es ihm. Schon die Hauptsache der Intrige, die Identität der alten und neuen Liebhaber muß Despina verborgen bleiben, weil ihr einfaches Modell der Liebe solche Komplikation kaum verkraftete. Despina käme rethorisch mit der angestammten Zofenphilosophie allein nicht zu Rande, sie rückte unversehens aus dem harten Licht des Typenzitats, das eben die fertigen Weisheiten ihr leihen. Aufs ganze gesehen bleibt Despinas Moral hinter der des Stücks zurück. Aus der Nähe, im Prozess, stumpft das geschlossene Zitat Despinas Argumentation nicht etwa ab, sondern erstattet ihr gerade die Schärfe zurück, die ein bloßer Anklang an den alten Typus, bei vermittelnden individuellen Abweichungen, ihr schuldig geblieben wäre. Ein Theaterstück über die Treue tut gut daran, die Argumente der Treulosigkeit nicht vorab zu entschärfen; ein komisches, "frivoles" Stück erst recht. Despina die Regie zu übertragen, bedeutet, den konventionellen Begriff der Treue mit Lust und ernstlich anzugreifen.
So wenig aber Alfonsos Intrige ohne Despina vom Fleck käme, so sicher behält er die Fäden in der Hand. Er mag, wie Herz meint, mit seinem Latein am Ende sein, er ist Impressario genug, Despinas Engagement zu reizen. Die Intrige entgleitet ihm dadurch keineswegs, auch wird er von Despinas Verve nie überfahren. Alfonso weiß, was sie nicht weiß. Er versteht es, sie zu neuen Taten anzustacheln, das genügt. Er bestätigt sie in ihren Zofengelüsten nach Macht über ihre padrone: diese Verrückten, diese kleinen Biester. Übrigens sind die beiden Ausdrücke (quelle pazze, queste tue bestioline) zugleich die einzigen, die Despina in ihrer abschätzigen Liebesmechanik zu unterstützen scheinen; tatsächlich hält Alfonso sich durchaus zurück. Und es tut ihm kaum Abbruch, wenn er sich, heikles Zeichen seines Erfolges, von ihr Befehle erteilen lassen muß, wie er selbst sie den Herren Offizieren so gern erteilt. Es wäre also ein Fehler, die Überlegenheit Alfonsos, oder auch nur seine kommunikativen Talente, zugunsten Despinas zu unterschlagen. Sie ist darum nicht bloß seine "Assistentin": Das Verhältnis ist in einer einfachen Hierarchie sowenig zu haben, wie der Begriff der Treue ohne die Unmittelbarkeit des Vergnügens zu Rande käme. Alfonsos Vorauswissen ist so angelegt, daß es zugleich schon seine einzige Rettung ist. Und nicht seine bloß. Das Stück selbst verlöre die Balance. So aber kann es uns einen zwiespältigen Alfonso vorführen, der, wo er für sich selbst und allein spricht, gegen die helle und lustige Despina schon verloren hat, und der doch, kraft seines Vorteils, aber auch kraft seiner anderen, freundlicheren Seite im Ensemble, die Paare und das Stück vor Despinas Konsequenzen bewahrt, die zu kosten sein Reiz war.




I/14-15


Bevor die Vergiftungsszene den Schrecken injiziert, sollen wir ihn herbeiwünschen. 14. Szene, giardinetto gentile, der Garten ist nun vornehm, symmetrisch-steif, Kegel, Kugeln, rechts und links, Steinbänke. So vornehm der Garten, daß nichts darin wächst. Die Zeit steht still, und die Damen wiederholen melancholisch den Augenblick der Unglückswende. Das stumpft. Ihr gepflegter Kummer vertreibt halb schon die Qualen, die sie zu leiden meinen.
Despina gibt nichts auf die Künste der feinen Seele. Die Närrinnen sitzen "im Garten und beklagen sich bei der Luft und den Fliegen". Denen zeigen, was Qualen sind! Was die Damen (wie die Herren Offiziere) nur als Phrase für möglich halten, das ganze pathetische Gefasel von Gift und Dolch und Liebeskummertod, wird wahr: diese Albaner tun's wirklich!
Einen außerordentlichen Augenblick lang lassen Da Ponte und Mozart den (fiktiven) Schrecken durch den doppelten Boden schlagen, ohne die Intrige zu vergessen. Tatsächlich greift die theatralische Distanz über die Intrige noch hinaus; im dramatischen Höhepunkt verweist das Theater, das ganze Theater, nicht die Herrenkomödie, auf sich selbst; ein selbstbezüglicher Reflex, der unter simulativen Bedingungen (erschreckte Mädchen) falsch und unfreiwillig komisch wäre.


(Fiordiligi, Dorabella, Ferrando, Guglielmo e Don Alfonso)
Ah che del sole il raggio
Fosco per me diventa!
Tremo, le fibre e l'anima
Par che mancar mi senta
Nè può la lingua o il labbro
Accenti articolar!

Ah, wie der Strahl der Sonne
sich mir verdunkelt!
Ich zitt're, Leib und Seele
scheinen mir wie gelähmt,
Nicht Zunge noch Lippe
bringen einen Laut heraus!


Diese Wendungen aus dem Fundus klassischer Affektphrasen setzt da Ponte nicht naiv hierher. Sie markieren das Theatralische als solches. Besonders der letzten - mein Mund bringt kein Wort mehr hervor - begegnen wir in leichten Variationen gleich mehrfach in "Così". Und jedesmal winkt sie ins Theater. Sie hilft (Nr.5) Alfonsos Auftritt auf die Sprünge: seine Lippe zittert, wenn er den Mädchen die schreckliche Nachricht bringt. Alfonso kopierend behauptet auch Ferrando bei seinem ersten Auftritt in der Intrige (Nr.6), kein Wort herausbringen zu können.
Hier in der 15. Szene endlich bricht der affektive Gehalt der Phrase unverstellt durch: Dieser Augenblick entscheidet die Intrige. Die Damen sind unauslöschlich beeindruckt, der 2. Akt bringt tatsächlich kein gleichwertiges Herrenmanöver, er bringt Gelegenheiten, nachzugeben, Überredungen, die ihr Ziel schwerlich erreichten ohne diesen Moment. Ferrando und Fiordiligi machen da keine Ausnahme, im Gegenteil: sie bestätigen die Gewalt dieses Augenblicks durch Wiederholung: die seria-pathetische Drohung Ferrandos, sich mit dem Stahl in ihrer Hand das Herze zu durchbohren (II/Sz.12) wird durch die Gewissheit der Vergiftungsszene wirkungsvoll gefördert.
Wir sind gewöhnt, Mozarts Figuren (besonders die weiblichen) um ihr theatralisches Wesen zu kürzen. Das beleidigt die Primadonna, würdigt sie und ihr Theater herab zur falschen Natur und betrügt sie um ihre Herrschaft. Das bürgerliche Schauspiel, der Oper in dieser Entwicklung um einiges voraus, hat da Ponte den kommenden Unverstand vielleicht ahnen lassen, jedenfalls arbeitet er ihm nach Kräften entgegen. Im Schrecken der Mädchen soll doch die Primadonna glänzen. All ihre Bekundungen werden vom primadonnesken "stelle!" angeführt. Und als Schlaglicht vorher setzt da Ponte:

(Fiordiligi e Dorabella)

Il tragico spettacolo
Gelare il cor mi fa.

Das tragische Schauspiel
macht mir das Herze frieren.

Das ist grell, jeder merkt eine die Simulation störende Selbstbezüglichkeit, keine noch so strapazierte Psychologie bindet ihre Rede vom tragico spettacolo in die Simulation zweier ehrlich erschreckter Mädel restlos ein. Solche Reste sind es heute, an denen wir die selbstverständliche Reflexivität dieses Theaters noch zu fassen bekommen. Mit den Mädchen als Opfern einer zynischen Herrenwette verhunzen wir das Stück noch immer im Geiste der Bearbeitungen des 19. Jahrhunderts. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie die Transparenz des Theaters tilgen. Eine z.B. weiht die Damen durch Despina vorab in die Intrige ein, mit dem Erfolg, daß die Simulation auch an ursprünglich heiklen Stellen rein aufgeht. Stelle!, il tragico spettacolo: alle Differenz der Primadonna ist im Bescheidwissen der Mädchen zurechtgebiedert.

Da Pontes Text erweist der Primadonna alle Ehren. Dies Theater ist Theater ist weiblich. Despina verkuppelt die Herren-Intrige mit dem Primadonnen-Theater. Die bislang etwas matte Vorstellung der Albaner - Kostüm und Kniefall, das war's - gewinnt unter ihrer Anleitung ganz erheblich an Interesse. Unseres wie das der Damen.
Der Schrecken ist so wirklich, wie komisches Theater nur sein kann. Da Ponte legt Mozart einen Tuttitext vor, dem alle denkbaren Deformationen (: Schrecken und Lust am tragico spettacolo bei den Frauen, blanker Spaß am maskierten Chargieren bei den Herren) im Reflex auf das Theatralische zusammenfallen. Das läßt den affektiven Gehalt der Theater-Phrasen ohne Verschiebung zu sich selbst kommen: der reine Schrecken im reinen Theater.
Wo eine oberflächliche Lektüre dem Komponisten fidel chargierende Herren vorgeschlagen hätte, läßt Mozart sie, der Lust des Textes folgend, mit keinem Laut aus der Täuschung fallen. Die Verführung der Herren verführt sie selbst - zum Theater. Ihre Komödie lässt sich davon erfassen, kaum daß sie wirklich begonnen hat: mit dem ersten Schritt aus der bloßen Verstellung zum wirklichen Theater. Die divergenten Haltungen der Personen lösen sich auf, Ferrando und Guglielmo werden über die Grenze gezogen, das Theater reißt sie herein, einen Augenblick nur, später machen sie mit spaßigen Einwürfen sich Luft. Sogar Alfonsos darf dabeisein..., wenn es auch, wiederum plausibel, gerade ihn sofort drängt, Intrige und Theater zu trennen. Despina allein muß fehlen, denn ihre Teilnahme wäre denkbar nur als belustigte, fröhlich unbeeindruckte Täuschung, wir sähen sie chargieren, das färbte ab auf die Herren und hätte Mozart jenen säuberlich faden Humor aufgezwungen, der Intrige und Theater allzu schlicht auseinanderhält und dabei ihre erotische Spannung verpasst.

Alfonso zuerst findet die Sprache wieder, diesmal ohne besonderes Gespür für die Situation:


Giacchè a morir vicini
Sono quei meschinelli
Pietade almeno a quelli
Cercate di mostrar.

Weil die Unglücklichen
Bald sterben müssen
Bemüht euch wenigstens,
Ihnen Mitleid zu bezeigen.


Das zieht allzu stramm am Leitfaden seiner Intrigenpädagogik und wird darum von den Damen glatt überhört. Die rufen, durchaus bei Verstand, laut nach Hilfe und, als niemand sie hört, nach Despina. Umkehrung der elften Szene, Retourkutsche Despinas. "Ehi Despina! Olà Despina! ... Ragazzaccia tracotante!" [I,Sz 11,#13] hatte sie sich rufen lassen müssen - und nun, die Damen in hellem Schrecken, erlaubt sie sich ein dreistes "Chi mi chiama?", als sei das irgendwie zweifelhaft. Dann weiß sie den springenden Punkt der Lektion - Mitleid ist Pflicht - geschickter, nämlich praktischer, anzubringen als Alfonso

Con le pietose mani
Fate un po' lor sostegno.

Mit mitleidigen Händen
Macht ein wenig ihre Stütze.

und läßt die Damen mit ihren liebesiechen Opfern allein. Während die Herren die Verführungen des Mitleids fürchten, lassen die Autoren keinen Zweifel daran, daß ihre Damen da moderner sind. Kaum allein empfinden sie vor allem das erotisch Brenzlige der Situation:

Dei! Che cimento è questo!
Götter, welche Prüfung ist dies
(welches Wagnis)!

Wie aufregend! Der Klagelaut der Vergifteten - Ah! - ruft sie näher heran, es beschäftigt sie allein, wie weit sie gehen dürfen. Mitleid ist ein Argument für Doktorspiele. Stirn und Puls fühlen - der Arzt Despina wird genau dasselbe tun -: das ist zugleich hilflos, kindisch und "frivol", ein "Mitleid", dem der jahrhundertelange (heute aufgegebene) Verschleiß auf dem Liebesacker nur zu deutlich ist.

Welche Rechte das Theater gegen die Wahrscheinlichkeit hat, lehrt Mozarts Komposition der zuletzt sehr unwahrscheinlichen Diagnose: Die Schwestern fühlen eiskalte Stirnen und einen schwachen, zu langsamen Puls. Der Witz geht nicht auf ihre Kosten allein: den Herren ist womöglich der kalte Schweiß ausgebrochen (d.h. dieser Teil des Befunds ist mit Witz plausibel) und den Puls (ein fliegender wäre wahrscheinlich) treffen die Damen erst gar nicht, sie spielen. Mozart muß einfach seine Schilderung eines bedrohlich langsamen Pulses (questo batto lento lento) in diese fertige Unwahrscheinlichkeit setzen, um komisch zu sein. So gewinnt Mozart Distanz, ohne sich zu distanzieren. Er tut indifferent und weiß das Theater auf seiner Seite.
Dann aber ereilt die Damen Bewußtsein, sie mögen das für Mitleid halten; sie sind zu weit gegangen! Da es aber gar keinen realen Anlaß zu Mitleid gibt - die Herren sind in Wahrheit ja putzmunter - fällt ihre herzige Anwandlung

Ah, se tarda ancor l'aita,
speme più non v'è di vita!

Ah, wenn die Hilfe noch säumt,
gibt es keine Lebenshoffnung mehr!

gleich zurück auf ihre erotische Spannung. Sie haben sich trotzdem prima im Griff, nie war ein Konditional präziser:

"Poverini! La lor morte
Mi farebbe lagrimar."

Die Armen! Ihr Tod
machte mich weinen.

Bündiger und raffinierter geht's nicht. Versuchen Sie Varianten, schlimmstenfalls Tränen des Mitleids herzusetzen: Die Armen, ihr trauriger Zustand macht mich weinen; und Sie ermessen, was am Konditional da Pontes liegt.
Die Situation nicht zu durchschauen, ist lächerlich: für die Damen, nicht für die Primadonnen, als Theater kommt die Herrenfinte ihnen entgegen, sie vergeben sich rein gar nichts. Den falschen Vergifteten ein herzereines Mitleid zu zollen, das mag da Ponte nicht einmal den Gänsen zumuten. Moralischeren Zeiten war es vorbehalten, ihre Frivolität zu tilgen und im selben Zug an den nun völlig hilflosen, lächerlich artigen Dingern sich gütlich zu tun.




I/16



Da ist der Arzt! Despina in Maske und redet Latein, falsches. Hildesheimer findet ungerecht, was er für Mozarts Eingriff hält, "denn wenn Despina schon etwas auswendig gelernt hat, so hat sie es gewiß richtig gelernt, sie ist gescheit."[ Hildesheimer S. 301] Brav, Despina, setzen.
Nun ist das falsche Latein ja nicht dumm überhaupt. Es präsentiert den Scharlatan. Hildesheimer kann sich die schärfere Zeichnung des Doktors nur auf Kosten Despinas denken. Despina ist wohl "gescheit", aber bei Latein hört der Spaß auf, denn unsere Vorstellung von einem "Frauenzimmer" würde leiden.
Andererseits müssen wir nicht unbedingt von einer Person her denken, die perfekte Simulation einer Zofe könnte uns weniger interessant sein sein als ihre theatralischen Reserven. Despina ist - wie jede Figur des Stücks - einzigartig, aber ihre Einzigartigkeit lässt sich nicht als persönliche begreifen, sie verschwindet, wenn wir ihr das Theater entziehen. Was Despina vom Klischee unterscheidet, ist die der bürgerlichen Vereinnahmung unliebsame Reinheit des Typus. Anders als das Klischee, das zum "Individuum" aufgeblasen das Theater leugnet, teilt der Typus es stets mit und genießt seine Freiheit. Die Vorgaben des Typus sind wesentlich weniger beengend als die des Klischees. Despina kann sich sehr wohl im Glanz ihres richtig-falschen Latein sonnen. Es gehört ihr so prompt wie der Scharlatan und der Überschwang der ganzen Vorstellung.

Die Szene kehrt die Wirkungsrichtung wesentlicher Momente der vorigen um. Die haben uns durch alle Brechungen hindurch wahre Schrecken fühlen lassen - mit einer Unmittelbarkeit, über deren theatralischen Exponenten wir uns keine Rechenschaft ablegen, wenn wir auch staunen, so mühelos durch doppelte Böden befördert zu werden. Jetzt bekommen wir ein aufgedrehtes Theater im Theater im Theater serviert, das mit Lust die Grenzen des von der Intrige gebotenen sprengt und jede Wahrscheinlichkeitsrechnung überholt.
Die Konditionalis-Tränen der Damen und Mozarts sakralkomisches Geplärr verscheuchend schlagen Alfonso und Despina das Theater noch einmal auf. Kraß sticht von den Lacrimosatönen der letzten Scene eine außerordentlich plumpe Jahrmarktsintrada ab, "Eccovi il medico!", als gälte das außer den "signore belle" direkt uns, dem Rest des Publikums. Despina bringt, einmal verkleidet, prompt ihr ganzes Theater mit. Sie spielt nicht bloß den Doktor (und wir gingen etwa her und rechneten hoch, den habe sie oft genug am Bett ihrer leidenden padrone getroffen), sie spielt den Theater-Doktor. Einer sehr schlichten Bühne: es geht grob, laut und wunderbar zu. Alle spielen mit, ohne Despinas Theater in ein komplexeres und vornehmeres schon aufzulösen. Dazu ist die vollkommen bekannte, theatererprobte Wunderkur mit Magnet das rechte Sujet. Jeder kennt seinen Part. Die Musik tut simpler als sonst, die Herren chargieren drastisch und die Damen geben sich extrablöd.
Erstaunlicher nämlich, als daß der Bühnenscharlatan Despina ein flüssiges falsches Latein spricht, ist, daß die ferrareser Damen mit ihrem geschraubten Bildungsschwulst vor einem "salvete amabiles" verständnislos kapitulieren: Sie sind das betrogene Publikum - und sie machen das glänzend. Es gibt hier kein Entweder-Oder: zu ihrer simulierten Unwissenheit tritt eine theatralisch forcierte Blödigkeit, die die Gänse schon rupft. Sie sind nicht Opfer, nicht ausgeschlossen: das volle Ensemble gönnt sich eine satirische Doktornummer, wo es - und mit welchem Gewinn für die Glaubwürdigkeit der Intrige! - eine seriösere Behandlung hätte simulieren können.

Der komödiantische Überschwang des Ensembles rennt die Simulation ein und garantiert, was als das Glück der Mozartfiguren niemand schöner gefasst hat als Ivan Nagel: "Ihr Glück ist da, bevor es am Ende naht. Es lebt in der Gabe der Personen, sich ohne Rest mitzuteilen: als leuchtend vollständige Anwesenheit jedes Einzelnen in dem Verhältnis, das er zu jedem anderen, Freund oder Feind, knüpft."
Nur das der Theatermann Nagel das Theater beinahe vergißt, anders zwar als die Kritik vor der Bühne; als verschwiegene Voraussetzung nämlich, und wir es der zitierten Passage eindenken müssen. Dann geht uns die Balance der "Personen" zwischen (simulierter) Determination und (theatralischer) Freiheit auf, so glücklich bei Mozart, daß wir, noch einmal mit Nagel, nicht "entscheiden, ob ihre Welten Utopien sind, ob anders ... das fast einzig Utopiefreie, präsentisch Sehnsuchtslose, das neuerer Kunst geriet." Wenn wir der Simulation weniger verbissen hinterherlaufen, überholen wir sie auch schon, und begegnen einer Kommunikation, die, ein Theaterwunder, niemanden ausschließt. Gewiss, das ist das Manna des Theaters, davon zehrt es noch im Mißbrauch; ein Glück, wenn es seine Theatralität produktiv macht, stets bereit, den von der eigenen Simulation drohenden Ausschluss, das Opfer, aufzuheben. Die Blödigkeit der Gänse, denen man vergiftete Albaner, Magnetiseur und Wunderkur auftischt, muß nur ein wenig forciert werden: schon spielen sie mit. Wer von der Simulation her denkt, mag daran irre werden, das Theater fängt erst an.

Nun liegt der Einwand nahe, das wahre Opfer der Szene sei nicht etwa aufgehoben, sondern abwesend. Da es kein schöner Zug ist, dem früheren Gönner und Freund der Familie, Franz Anton Mesmer, so mitzuspielen - und noch weniger, mit einem Bühnenscherz so wohlfeil wie damals wenigen sonst Trittbrett zu fahren -, hat es an Versuchen, Mozart zu entlasten, nicht gefehlt. Einmal mehr sieht man ihn zum Libretto genötigt und in der magnetischen Kur einen Scherz weniger auf Kosten Mesmers als unberufener Nachahmer. Schuler bringt beides vor, um es gleich zu entwerten. Auch er meint, der Einfall überhaupt müsse von Mozart stammen, da da Ponte in Wien erst ankam, als Mesmer schon Jahre fort war. (Das ist keine besonders zwingende Vermutung, der Heilmagnetismus und verwandte Phänomene waren jahrelang Thema in allen Zeitungen Europas.) Sehr viel überzeugender finde ich Schulers Beobachtung des "svevo" (schwäbisch) in der Aufzählung der dem medico geläufigen Sprachen. Das ist maliziös gegen Mesmer persönlich, und könnte wirklich nur von Mozart ausgeheckt sein, denn Mesmers Schwäbeln hat da Ponte nachweislich verpasst. Nun druckt das Libretto (Wien 1790) ein unübersetzbares "sveco" und die Partituren desgleichen. Mozarts Bosheit fiele aus, wenn er etwa bloß abgeschrieben hätte. Wie dem auch sei, mit den Mesmers persönlich scheint er schon lange vor Così abgeschlossen zu haben: "Wegen der alten bekanntschaften will ich dir gleich sagen, daß ich nur ein einziges Mal bei der fr: v: Mesmer daraust war. - das hauß ist nicht mehr so wie es war. [Mesmer hat es schon lange verlassen] - wenn ich umsonst fressen will, so brauche ich nicht deswegen auf die Landstrass hinaus zu fahren, da habe ich in der Stadt zu fusse örter genug"(1781). Das drückt sehr wohl die Wertschätzung Mozarts für den abwesenden Mesmer aus. Von der Schwester gedrängt, die alten Bekanntschaften zu pflegen, macht er ihr deutlich, woran ihm bei Mesmers lag und was er dort - die Grobheit gegen die zurückgebliebene Gattin läßt das durchblicken - durchaus vermißt.

Unter den zeitgenössischen Hervorbringungen zum Thema Heilmagnetismus gehört Così gewiß zu den unbekümmerten. Nichts liegt den Autoren ferner als eine aufgeregte erzieherische Absicht. Die Magnetkur in Così ist weniger spektakulär modisch als die Wiederkehr eines bekannten Vehikels: es fährt verkehrtherum. Man stellte sonst allein weibliche Patienten vor. Gängiges (und planvoll verbreitetes) Vorurteil war, daß bloße Wollust, Langeweile und schwärmerische Zufälle besonders Oberschichtlerinnen (mit ihren Nerven- und Gemütskrankheiten) in den Bannkreis magnetisierender Scharlatane geraten ließen. Die Gleichung Frau - Patient schien so schlüssig, daß selbst in den fingierten Kuren der Lustspiele (pfiffiger Liebhaber erlöst reizende Tochter vom väterlichen Herd) stets die Frau "magnetisiert" wurde. Nie sah man Männer als Patienten auf der Bühne, nie eine Magnetiseuse, als die Despina, wenn auch zum Herrn Doktor verkleidet, allen Eingeweihten begegnet.
Gewiß, Despina mimt den Scharlatan, und die Grenze zwischen ihrer und der Autoren Unbekümmertheit ist fließend: sie verwechselt Stein- und Stahlmagnet, tut gerade so, als verdanke sich die Wunderkur diesem einen Stein mit reicher Vergangenheit, und nennt den Stein mesmerisch, wie alle Welt, während Mesmer den Stein kaum benutzt und den Stahlmagneten schon zur Seite gelegt hat, als man gerade bereit war, seinen Wirkungen einen rational nachvollziehbaren und darum legitimen Effekt zuzubilligen. Dann verfährt sie vergleichsweise professionell, die Nebentextbeschreibung

Tocca con un pezzo di calamita la testa ai finti infermi e striscia dolcemente i loro corpi per lungo [Berührt mit einem Magnetstein den Kopf der angeblich Kranken und streicht sanft ihre Körper entlang]

entspricht, einfach und bühnenwirksam, mit Ausnahme des Magneten einem Verfahren Mesmers, das sich in der Hypnose (als seine "langen Striche") bis heute gehalten hat.
Schuler geht so weit, in den wiederholten Trillern die "Ausstrahlung des universalen Fluidums" musikalisch wiedergegeben zu finden, der Text- und Handlungszusammenhang lege das zwingend nahe. Das tut er natürlich nicht, jedenfalls hat er bisher nur Schuler gezwungen, man kommt ohne weiteres mit einer vergleichsweise diffusen Komik zu Rande.

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Ich finde Schulers Hören - nichts steht ihm entgegen - sehr reizvoll, weil es einen Reflex wirklichen Mesmerismus in der Musik ortet. Das passt zu einer Textpassage etwas später, die ich meinerseits haltlos überbewerte:

In poch'ore, lo vedrete,
Per virtù del magnetismo
Finirà quel parossismo,
Torneranno al primo umor.

In wenigen Stunden, ihr werdet es sehen,
werden durch die Kraft des Magnetismus
diese Krämpfe erledigt sein,
sie werden zu ihrer alten Verfassung zurückkehren.

Der Gedanke an eine Parallele zwischen der vom Fluidum erfüllten Welt und dem musikalischen Theater wird schon Mozart und Mesmer selbst unterhalten haben. Der Vorstellung, die Musik spiegele das Fluidum im Welttheater wieder, begegnete bald der Einwand : daß das Fluidum nicht beim Logenschließer haltmache. Es lasse sich nicht zu Musik metaphorisieren, so kostbar diese immer sei, sondern wirke ja real im Theater, durchströme alles dort, Bühne, Sänger, Musiker und Publikum, so aber, daß wir es uns nicht gleichgültig gegen den Raum und alles in ihm, sondern beeinflusst, gerichtet von eben der Musik vorzustellen hätten -. Genug, daß Mozart und Mesmer die Verwandschaft ihrer Künste nicht beschäftigt haben soll, ist vollkommen unmöglich, und Mesmer seinerseits setzt seine vielgerühmte Glasharmonika auch in der medizinischen Praxis ein.
Die magnetische Despinade liest sich so als boshafter aber nicht ganz und gar ungerechter Reflex einer spekulativen Unterhaltung: Abbildung und reale Präsenz des "Fluidums" sind vertauscht: unantastbar real, wirkungsmächtig, ist die Musik, die das Theater erfüllt, besser: erzeugt, sie bildet das Fluidum nicht ab, sondern tritt an seine Stelle, ist selber das "Fluidum" des Theaters und in solcher Selbstgewissheit, lässt sie sich kunststolz und theaterschlau zu Jahrmarkt und Magnetismus herab, wo, in Despinas Bude, die Kunst regrediert, und die eigentliche Bewegung des ersten Aktes - zwei Herren suchen das Theater - in einem grandios plastischen Krampf auf der Kippe kulminiert.

Paradoxerweise hängt die dramatische Dichte der Szene an dem Moment der Einlage. Sie setzt - und zwar alles andere als subtil - das Theater zu sich selbst ins Verhältnis. In der über Despina inszenierten Regression holt das Theater seine Anfänge ein. Jahrmarkt und Despinade sind, eingelegt in die komplexe Komödie, theatrale Methaphern von "Natur", wirkungsmächtiger als ein Meer aus Pappmaché. Besonders nach dem Schauder und Jammer der vorhergehenden Szene ist das Publikum für eine regressive Nummer zu haben, und in schöner Parallele geht es den Bühnenprotagonisten genauso. Das regressive Moment der Despinade verführt, doppelte Strategie, Damen und Herren. Akteure sind die Herren nur als Patienten der Despinade, - und magnetisiert.
Eben erst hat ihre verzweifelte Tat entscheidenden Eindruck gemacht, uns, den Damen und, einen Augenblick lang, den Herren selbst. Sie sind vergiftet!: theatralisch infiziert, im Sog der Maske, und Ferrando schon verliebt. Daß sie sich immer wieder lustig machen, ist kein Gegenargument sondern Balance: es soll noch einen zweiten Akt dauern, bis ihr Anfall vorüber (und mit der Gleichrichtung des Fluidums - lange Striche, Glasharmonika, Sphärenharmonie - auch das Theater aus) ist. Es wäre darum den Versuch wert, die konvulsivischen Zuckungen der Herren einen Hauch unfreiwilliger, ihr Zu-sich-kommen, so rethorisch durchsichtig es ist, aus einem irritierten Dämmer heraus zu inszenieren. Eine angemessene Inszenierung muß ohnehin von den allzeit souveränen bis zynischen Herren lassen. Um die Wirkungen der Magnetkur zu spüren, müssen die Herren übrigens nicht erst "vergiftet" sein, sondern affizierbar, "sensibel". Und sind sie das etwa nicht?. Der eine mehr, der andere weniger, und doch reichlich genug, wenn wir die Verschränkung von magnetischer Sensibilität und ordinärer Liebeslust in Rechnung ziehen. Die Intrige, die sie losgetreten haben, hat ihren Preis. Zum Beispiel den, sich als Patienten einer Magnetiseuse wiederzufinden und, sei es unter magnetischem Einfluss, sei es der Not zur Täuschung gehorchend, mit ihren Köpfen auf den Boden einzuschlagen, konvulsiv und lebensecht.



Aus ihren wüsten Krämpfen unter dem Magneten erwachen sie zu einer höchst unwahrscheinlichen Galanterie. Doch das Unwahrscheinliche daran ist im Theater völlig zu hause. Die banalantike Liebesrethorik, gleichgültig gegen eine etwa angezeigte pathologische Nuance, verschiebt die Vorspiegelung "realer" Abwesenheit zu einem offensiv theatralischen, elysischen Dämmer, um von dort in galante Zudringlichkeiten zu münden. Zugleich soll die Abwesenheit schon eine Ankunft vorstellen. "Dove son?": hinter dieser Frage Dorabellas sind sie vor 10 Szenen nach Cythera verschwunden, in ihrer anderen, gegenüberliegenden Bedeutung - wo sind sie, wo bin ich -,stellen jetzt die Herren sich ganz die gleiche Frage selber. Noch vor der korrekt arrangierten Ankunft (II.4, ihre nächste Szene!) will ihr Überschwang schon landen; wirklich wären sie, ginge es nach ihnen, schon da.
Im Sog des Theaters reißt es sie arg mit. Das gibt dem ganzen ersten Finale eine reflexive Logik, die den Akt allein darum erschöpft, weil die Herren, mehr und mehr vom Theater erfasst, allmählich überdrehen. Ihre offensive Theatralität zieht die Fiktion der Genesung allzusehr in Mitleidenschaft, eine Frage der Balance. Ihre Lustigkeit hat etwas ohnmächtiges. Krämpfe, Delierien, Verrücktheiten, irre Reden wird Despina das nennen (und für einen 2. Versuch versprechen, daß sie sich nun taktvoll, manierlich, bescheiden und freundlich - eben beherrscht - aufführen werden).
Das (seinerseits durchaus beherrschte) Entgegenkommen der Damen halten sie nicht mehr aus: Wenn Fiordiligi und Dorabella das Händeküssen als Mätzchen abtun, wissen die Herren noch, den verlangten, weniger förmlichen, dafür leidenschaftlicheren und frischeren Ton anzuschlagen, die prompte Reaktion der Damen aber

Più resister non poss'io!

die neben bloßem Ärger ein weiteres Nachgeben androht, läßt die Herren halb vorsätzlich halb unfreiwillig alles mit einem offenen theatralisch/ erotischen Fauxpas über den Haufen rennen. Dammi un baccio, o mio tesoro! Gib mir einen Kuss, mein Schatz! Entgeht ihnen ernstlich, was ihr plump direkter Ton anrichtet?
Und wem es nicht beikommt, dem sagen die Damen es zweimal (wieder treibt die Leere der Verdopplung Blüten) : Beleidigt sind die anständigen Bräute (fede), beleidigt ihre weniger artigen Doubles (cor). Seit der magnetischen Kur hatten die Damen sich gut im Griff. Alle ihre Äußerungen waren souverän zweideutig, erst der plumpe Fauxpas der Herren bringt sie in Rage. Und wo die Damen bloß noch deutlich sein wollen - Verzweifelte, Vergiftete! mit der Nummer schert euch zum Teufel - dreht eine unvermeidliche Zweideutigkeit sich gegen sie selbst und weit über die Situation hinaus bis ins zweite Finale:


Tardi inver vi pentirete
Se più cresce il mio furor!

Später werdet ihr es wahrhaftig bereuen
wenn meine Wut sich noch steigert!


Unbeschadet einer prophetischen Anzüglichkeit: Hier sind die Damen wirklich sauer. Wo wäre die Szene hingeraten ohne den Fauxpas der Herren? Die spielen ihr Cythera wie Anfänger! Schütten sich aus vor Lachen und lassen empörenderweise jeden Ernst vermissen! Die albanische Maskerade der Herren verträgt nicht annähernd so deutliche Brüche der (Binnen-) Simulation wie sie den Damen zu Primadonna und Theater gerade nötig sind.
Jetzt, wo die Herren es überzogen haben, weicht das Lachenmüssen ziemlich späten Befürchtungen, und wie die Androhung richtiger Wut bei den Damen wirkt auch die Sorge der Herren weit in den 2.Akt hinein. Da Ponte forciert die Krämpfe der Herren, bis sie schmeißen, um dann im letzten Augenblick des Finales einem (komisch verspäteten) Bewußtsein Raum zu gewähren, das ihr Verhalten im 2.Akt schon fixiert. Denn ab da geben sie sich, wie um ihre Damen nicht wieder zu erzürnen, artig drein in ihre Rollen und schmeißen nicht. Einmal mehr sehen wir den älteren Code mit einem neueren sich kreuzen, die Wette haben die Herren schon verloren, welchen Weg sie auch einschlagen. Solange sie die Damen ärgern, überholt sie deren Modernität: aufrichtig (persönlich) erzürnt spielen sie - Reflex des alten Codes im neuen - mit der Gefahr, ihre Beherrschung zu verlieren, sich zu verlieben. Sobald aber die Herren ihre Bräute nicht vor den Kopf stoßen und die Gesetze der Primadonna nicht übertreten, läuft die Verführung ohne jeden Widerstand, ja, beinahe ohne Verführung.

Schon im Höhepunkt des ersten Finales laufen alle Stimmen in einem chromatischen Crescendoaufstieg zusammen, zu dem Abert ein "toller Wirbel wiedersprechendster Gefühle" einfällt. Tatsächlich aber ist die Figur eingeführt und wiederholt als sinnfällige Umsetzung der zweideutigen Wut der Damen:

Se piu cresce il mio furor!


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Etwas geglättet, so daß sie den Herren entgegenkommt, ohne das Terrain der Frauen zu verlassen, läßt Mozart ihr das letzte Wort vorm bloßen Schluss. Alle, sogar Despina und Alfonso, zieht es darin hoch, im genauen Abstand einer kleinen Sexte. Daß Ferrando wieder zu den Damen in die Oberstimme tritt, hat bei der absolut parallel geführten Unterstimme, die die anderen bannt, kaum noch die exclusive, vorgreifende Bedeutung, die seinen übrigen Ensemblebewegungen eigen war. Das Crescendo realisiert zum wirkungsvollen Aktschluss den dynamischen Sog des Stückes, dem niemand sich entzieht.
Pause.

Akt II













Sonja Puntscher- Riekmann: Mozart, ein bürgerlicher Künstler. Graz 1982 zurueck




Stefan Kunze: Mozarts Opern Stuttgart 1984 S.444 zurueck




Wer bemerkt, daß die Abwesenheit der Philosophie irgendetwas zu bedeuten haben könnte, und umgekehrt (und vielleicht noch bemerkenswerter) die Philosophie der Aufklärung nicht umstandslos auf die 3 Plattituden Alfonsos reduziert werden kann, dem wird auch aufgehen, wie wenig fruchtbar das Zusammentragen von Kontextdaten ist, die einen Philosophen ausstopfen helfen, wie er z.B. Natosevic für ihre weitere Argumentation so unerlässlich sein wird. Kant, Schiller, Voltaire, - Himmel, wer muss sich da nicht noch alles im Grabe herumdrehen, angesichts der Umstandslosigkeit, mit der man hier herbeizitiert wird, um aus vecchio filosofo Alfonso mit seinen abgedroschenen Kalauern ein "höchst genaues Abbild der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts" (S.78) zu machen. Höchst genaues Abbild! Natosevic: Così fan tutte, Bärenreiter 2001. zurueck




Renate Schlesier: "Amor vi ferì, vi sani amore" in Dietmar Kamper/ Christoph Wulf (Hrsg.): Das Schicksal der Liebe. Weinheim, Berlin 1988 zurueck




'Blume der Unterwürfigkeit', 'Sklavin', um es auf den Punkt zu bringen. Wie die mythische Lust des Weibes auch in dieser Niederlage noch heimlich triumphiert, verraten die Liebesduette des 2. Aktes: für Dorabella wird alles sich ums Herzchen drehen, und Fior-di-ligi gibt ihrem Verlangen mit der besten, einer Vers-Übersetzung ihres Namens nach: "Fa' di me quel que ti par", 'mach mit mir was du willst'. zurueck




Mozart hat eine Weile in den ersten Akt hinein die Namen der Schwestern verwechselt. Wenn die Vertauschung hier aus dieser (später berichtigten) Verwechslung herrührt, ist sie doch deshalb nicht weniger bezeichnend. Es ist, als habe Mozart seine anfängliche Verwechslung an dieser Stelle mit Bedacht nicht zurückgenommen. zurueck




Stefan Kunze: Über das Verhältnis musikalisch autonomer Struktur und Textbau in Mozarts Opern. In: Mozart-Jahrbuch 1973/74 Salzburg 1974. - Für sein großes Mozartbuch 1984 hat er eine Version dieses Aufsatzes unter dem Kapitel "Abschied" verfasst, ohne wesentliche Änderungen der Prämissen oder Ergebnisse. zurueck




Francois Moureau: Watteau in seiner Zeit. in: Watteau 1684 1721, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, Katalog der Ausstellung im Schloss Charlottenburg, 1985. Seiten 496 ff. zurueck




.. auch im 2. Finale nicht; mit ihrem 'mi vergogno (ich schäme mich) läßt sich gerade kein einbruch 'persönlicher' Regung konstruieren, beschämt sind ihre typischen Qualitäten, die sie auch in Zukunft unter Beweis zu stellen beabsichtigt; viel eher sehen wir jetzt im Finale (das niemand ohne sie erreicht hätte) den Kreis, auf dem Despina zurückbleibt. zurueck




C. Floros, Mozart Studien, Bd. 1, Wiesbaden 1979 zurueck




Die Wucht des Schlusseffekts ist ein Selbstlauf, den ein nüchterner Lektor hätte bremsen muessen: Unstillbares Leid, das hereinbricht: klotziger gehts nicht. Doch beweisen gerade solche Pasasagen ein verleugnetes Wissen von den wahren Distanzen Mozarts, neben vielen erhellenden Details ist es dieser Aufwand, das längst Gewusste zu vertreiben, der Kunzes Buch so anregend macht. zurueck




Wolfgang Hildesheimer: Mozart. Frankfurt 1977 S. 299 zurueck




Alan Tyson: Notes on the composition of Mozart's Così fan tutte, in JAMS 37 (1984) #2 S 356- 401 zurueck




Hermann Abert: W.A. Mozart Leipzig 1989 (Nachdr.) 2.Bd. S.547 zurueck




Gunthard Born, Mozarts Musiksprache; München 1985 S. - schöne Beobachtung Borns, einmal erfasst, von unabweislicher Sinnfälligkeit. Alle wirklichen Entdeckungen sind sehr klein und leicht nachzuvollziehen, jeder hätte drauf kommen können ... Für einen fundamentalen Perspektivwechsel muss man halt nur das ganze System einen mikrofeinen Winkel verdrehen können, weiter nichts. Borns Darstellung der Mozartschen Syntax gehört in diese Kategorie, was immer mißgünstiges oder herablassendes man dazu geschrieben findet. zurueck




Noch der rezeptionsgeschichtlichen Untersuchung
Klaus Hortschansky: Gegen Unwahrscheinlichkeit und Frivolität: die Bearbeitungen im 19. Jahrhundert. in Così fan tutte. Hg. Campai/ Holland Hamburg 1984 S. 205
entgeht diese nachhaltige und allen gemeinsame Leistung der vielen Bearbeitungen. Die Dressur des Stücks wurde mit der Plausibilisierung der Simulation, dem Tilgen theatralischer Reflexe bewerkstelligt, das ist der Knochen der Rezeptionsgeschichte insgesamt. Er ist so vergraben, daß man noch immer glaubt, man käme mit einer anderen zeitgenössischen Moral zu Rande statt über das Theater und die Befreiung seiner Reflexe. zurueck




Ivan Nagel: Autonomie und Gnade, Über Mozarts Opern, München - Kassel 1991 zurueck




Manfred Schuler: Franz Anton Mesmer und Mozart in: Acta Mozartiana 31 Heft 4 S. 76-82 zurueck




Mozart an seine Schwester, Salzburg; Brief vom 15.Dez. 1781 in: Mozart, Briefe und Aufzeichnungen Band 3, hg. Mozarteum Salzburg, Kassel 1987 S.183 zurueck




siehe besonders: Anneliese Ego: "Animalischer Magnetismus" oder "Aufklärung" Würzburg 1991; zgl FU Berlin, Diss 1989.zurueck




Den Herren entgeht, mit O.Wilde: The Importance of Beeing Earnest. Weil in Wildes Stück alle von vorneherein überschwänglich, souverän und glücklich kommunizieren, kann die Wichtigkeit, im Theatralischen ernst zu sein, nur noch die komische Bedeutung haben, wirklich Ernst heißen zu müssen. Wie ein Reflex alter Komödien mutet es an, daß diese absurde Zuspitzung einer sonst gerechten Forderung auch bei Wilde von den Damen ausgeht, die schon hier in Così der Mangel an theatralischem Ernst erbost. zurueck