Nachwort


Diese Arbeit zu Cosi fan tutte ist im Wesentlichen in den 90er Jahren aus Randnotizen bei der Beschäftigung mit der Oper und besonders ihrem Libretto entstanden. Je mehr ich gelesen hatte, auch Sekundäres, desto deutlicher zeichneten sich Gründe ab für die Mißverständisse der historischen und neueren Rezeption. Es gab sehr alte, erstaunlich konsistente Voreingenommenheiten, in gewisser Hinsicht stimmten historische Verballhornungen und aktuelle Neuinszenierungen merkwürdig überein, wie radikal gerade die neuere Kritik mit der Tradition zu brechen meinte. Es war beinahe von Anfang an das Theater selbst, das unterschlagen wurde, und der Preis den die bürgerliche Rezeption für die schlichte Simulation zu zahlen bereit war, erstaunlich hoch. Hatte man sich zu Anfang über die Frivolität geärgert (und damit das Theater wenigstens bemerkt), war man inzwischen bei wirklichen Katastrophen angekommen. - Meine Notizen zu den einzelnen Nummern wuchsen zu Kapiteln an, buchstäblich ohne Plan, ohne These, die ich am Ende würde bewiesen haben, - und vielleicht darum auf eine mir selbst nicht ganz geheure Art zu schlüssig, um noch einmal alles umzuwerfen und ganz von vorn etwas Anderes daraus zu machen. So ist die Arbeit liegengeblieben bis ich eingesehen habe, daß ich diesen Text - Kommentar, Nummernrevue - nicht mehr grundlegend ändern würde.
Eine Schwäche, die weniger leicht zu verzeihen war, ist der Umstand, daß meine Darstellung vielleicht zu sehr von der Kritik anderer Beiträge abhängt. Auch daran war nichts Wesentliches zu ändern, ohne ein neues Buch zu schreiben, leider. Tatsächlich wird ja, wer meinem Text folgen mag, gerade das überdenken, was wir durch eine schlüssige Rezeption des Stücks seit 1790 bei allen Differenzen doch für selbstverständlich halten. Leider aber hat die bisweilen noch fühlbare jungakademische Verve den Fehler, weniger das zu zitieren, wofür man den anderen Autoren zu danken hat, als vielmehr das, worin man sie verwirft, und so werde ich Stefan Kunze nicht immer gerecht. Tatsächlich habe ich eigentlich immer angenommen, daß in der kritischen Folge seiner Arbeit der Wind sich drehen würde. Konstanze Natosevics Dissertation hat mich da sehr überrascht, denn das hieß: trotz revidierter Auffassung vor allem der strittigeren Nummern einfach geradeaus im alten Fahrwasser, das inzwischen etablierte zeitgeistige Katastrophenszenario in vollem Ernst ohne jeden komischen Reflex. Hier war besonders gut zu sehen, wohin es der Mangel an reflektierter Theatralität (Witz ist fast dasselbe) noch treibt; zwar ist beispielsweise die Felsenarie jetzt nicht mehr das ernsthafte Bekenntnis Kunzes (der jeden theatralischen Reflex abzublenden sucht), aber komisch ist sie darum noch lange nicht. Wer sich fragt, wie es denn kommt, daß in praktisch jeder Vorstellung am Ende der Arie nicht nur die Primadonna mit Beifall überschüttet wird, sondern auch die im gleichen Zug komisch lädierte Fiordiligi schon gewinnt, fragt eine der einfachen Fragen, die ihm der Zeitgeist nicht beantworten mag.
Und was wäre denn auch eine Treue ohne eine gewisse Fallhöhe? Zum Sterben öde. Überhaupt wird über den zentralen Begriff Treue nicht viel nachgedacht. Ein erstaunliches Defizit, daß sich wie ein unsichtbarer Faden durch die Rezeptionsgeschichte zieht. Ist es vor 200 Jahren noch das Nicht-Diskutable im Begriff, das seine theatralische Diskussion als geschmacklos (frivol) abstößt, müssen wir uns heute immerhin wundern, wie selten das Stück von einer Lebenswirklichkeit her diskutiert wird, in der die Treue entweder selten oder langweilig ist.

Das Lesen so umfangreicher Texte am Schirm ist unbequem. Eine Kommentarversion ohne Libretto ist darum zum privaten Ausdruck als Download bereitgestellt. Die vollständige Seite kann in ihrer Webform auch als CD-Rom beim Verfasser bezogen werden.

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16.12.2006

Volker Mueller
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